Zack, trocken!
Ich sag’s gleich: dieser Beitrag ist eine herbe Enttäuschung für all diejenigen, die sich hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung fürs Trockenwerden erhoffen. Aber da das Thema ein echter Meilenstein ist, darf ein solcher Beitrag in keinem halbwegs gepflegten Mutti-Blog fehlen, der etwas auf sich hält. Wer weiß, vielleicht ist am Schluß ja eine Anregung dabei?
Die zwei Seiten der Medaille
Ich gehe prinzipiell davon aus, dass Kinder ihr eigenes Tempo haben und auf ihre Weise klar mitteilen, wann sie für etwas bereit sind. Ich war nicht sonderlich besorgt, dass Jim mit fast fünf noch nicht trocken war. Seien wir ehrlich: eine Windel hat auch durchaus Vorteile. Man muss im Supermarkt nicht alles fallen lassen und augenblicklich eine Toilette suchen, wenn das Kind hibbelig wird. Man kann ziemlich entspannt längere Autofahrten absolvieren, ohne alle zehn Minuten eine Pause einlegen zu müssen. Ach, mir fallen da viele Beispiele ein.
Es gab bei uns allerdings auch zwei gravierende Nachteile: Jim wechselt die Kindergartengruppe. Die Windel wäre kein Hinderungsgrund für den Wechsel, aber die Ressourcen zum Wickeln sind dort nicht mehr so gegeben. Und, man glaubt es ja nicht: es ist praktisch unmöglich, in einer gutsortierten Hauptstadt-Drogerie größere Windelgrößen zu finden. Der Onlinehändler des Vertrauens hat gern zwei bis drei Wochen Lieferzeit. Und andere Marken kommen nicht in Frage, weil sie ein anderes Muster haben (Eltern von autistischen Kindern nicken jetzt wissend).
Hakuna Matata
Jim fand die Toilette schon lange spannend. Das war auch der Grund, weshalb wir uns nochmal an das Thema gewagt haben. Nicht sehr erfolgreich, gebe ich zu. Wir haben viel ausprobiert. Belohnungszettel, die Jim mit Lightning McQueen Stickern versehen durfte, wenn er sich auf die Toilette gesetzt hatte. Gutes Zureden. Sitzen mit Buch. Sitzen mit iPad. Mit Toilettensitz. Ohne Toilettensitz. Auf Anraten eines Psychologen: mit Windel draufsetzen. Überhaupt fand Jim sitzen ziemlich cool. Es passierte nur nichts. Gar nichts.
Als Jim in seiner härtesten „Der König der Löwen“-Phase war, hatte ich mal in einem euphorischen Anfall Simba-Unterhosen gekauft. Als Anreiz. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Jim hat sie sich gern angeschaut, aber anziehen? Kam nicht in Frage. Selbst die leiseste Andeutung von mir löste bei Jim bitterliches Weinen aus. Und stressen wollte ich ihn ganz sicher nicht. Da lagen sie also, die Simba-Unterhosen, aus der Ferne bewundert und doch verschmäht.
Aufgeben war kurzfristig eine Option
Weil bei Jim Änderungen in der Routine, wie z. B. Kleidungswechsel, kritisch sind, war uns klar: die Unterhosen sind der Schlüssel zum Erfolg. Jim würde die Windel nicht freiwillig hergeben, wenn er nicht die Erfahrung machte, dass es etwas Angenehmeres gibt. Aber wie? Ich konnte ihn ja schlecht zwingen. Mit fast fünf Jahren ist ein Kind ja durchaus in der Lage, etwas wieder auszuziehen, was es nicht anhaben möchte. Wie könnte die Unterhose die Windel ausstechen? Das haben wir uns viel und oft gefragt.
Vielleicht haben wir resigniert. Zumindest haben wir es schleifen lassen. Wir haben wohl gehofft, dass Jim von ganz allein auf den Trichter kommen würde (RW). In der Zwischenzeit hat Jim weiterhin viel auf dem Thron gesessen. Und gesessen. Und gesessen. Während ich kluge Beiträge im Internet gesucht habe zu dem Thema. Und nichts so richtig fand. Dann halt eben nochmal online Windeln bestellen.
Kindergarten to the rescue
Es waren mal wieder Jims Kindergartenpädagoginnen, die den Stein wieder ins Rollen brachten (RW). Sie machten uns den Vorschlag, einfach die Unterhosen und viel Wechselkleidung mit in den Kindergarten zu bringen. Denn erfahrungsgemäß lässt sich Jim im Kindergarten viel besser auf Veränderung ein als zuhause. Das liegt sicher auch daran, dass Zuhause sein sicherer Ort ist. Hier soll alles wie immer sein. Kindergarten ist eben auch oft ein bißchen Abenteuer.
Also los, am nächsten Tag Simba, Pumba und Timon eingepackt. genau hier müsste jetzt die Schritt-für-Schritt-Anleitung folgen. Tut sie aber nicht. Denn Jim hat im Kindergarten nach ein wenig Zureden sehr freiwillig die Windel aus- und die Unterhose angezogen. Und damit war das Thema erledigt, wenn man von drei Unfällen in den ersten zwei Tagen absieht. Das ist jetzt zwei Wochen her. Die Unterhose hat die Windel ausgestochen. Und alles was es dafür brauchte, war ein Szenenwechsel und tolle Pädagoginnen.
I’m finished
Und so sitzt Jim nun auf seinem weißen Porzellanthron wie ein König, nachdem er lautstark annonciert hat, dass er dort hin geht. Dann hört man: „uuuiiii, Lulu, sehr gut! I’m finished. Hose anziehn. Wash your Hände! So, fäätich!“ Das Ansagen hat selbst auf zwei zehnstündigen Autofahrten einwandfrei geklappt. Ich glaube, wir können mit Recht behaupten: ZACK, TROCKEN! Und sauber. Wenn schon, denn schon!
Wir hätten das alleine zuhause nicht so ohne Weiteres geschafft. Es hätte noch lange gedauert. Dass wir die Hilfe vom Kindergarten bekommen haben, liegt sicher auch daran, dass wir immer sehr offen mit den Pädagoginnen über Jim und sein Verhalten zuhause sprechen. Und dass wir von einem Regelkindergarten nicht per se eine Sonderbehandlung aufgrund der Diagnose erwarten. Es hilft oft, freundlich, offen und ehrlich zu sein. Wenn eure Kinder ähnlich wie Jim sind und ihnen der Wechsel von Kleidungsstücken schwerfällt, dann fragt doch mal in eurem Kindergarten, ob ihr dort Unterstützung bekommen könnt, wenn ihr Vertrauen in die Pädagog*innen habt. Fragen kostet nichts. Und vielleicht hilft es euch genauso wie uns. Vielleicht. #imfinished
Hallo,
da kann ich auch ein Lied von singen: wir haben mit unsrem Anton auch mehrere Jahre guter Ratschläge von außen „einfach immer wieder auf die Toilette setzen“ oder „wenn er mal in nasser Hose rumlaufen muss, dann lernt er es schon“ über uns ergehen lassen müssen. Stundenlange sinnlose Sitzungen inklusive. Ich hatte mich gerade damit abgefunden, ihm wohl noch mehrere Jahre Windeln wechseln zu müssen, da wurde Anton sechs. Und ging in den Kindergarten. Und teile dort den Erziehern mit: „Ich bin jetzt sechs, ich brauche keine Windeln mehr!“ Die Erzieher haben umgehend eine Unterhose aus dem Fundus geholt und ihm angezogen: von da ab, trocken! Nachts und immer. (Bis auf ganz wenige „Ausrutscher“…) Autisten entscheiden halt selbst, wann sie so weit sind. Seit dem geben wir Anton bei allem „seine Zeit“ und lehnen uns entspannt zurück, ohne Druck auszuüben. Außer Stress bringt das niemandem irgendwas!