Wer sein Echo nicht hören will …

Wer sein Echo nicht hören will …

15/12/2020 2 Von Marison

… sollte seine Zunge im Zaum halten, sagte mal Erwin Koch. Kinder in Jims Alter stecken meist mitten in ihrer Warum- oder Mamaaaa-Phase, was Eltern die Nackenhaare aufstellt. Bei uns gibt es drei andere Ausdrücke, die meinen Puls in Millisekunden durch die Decke schießen lassen. Das schlimmste ist: an zwei davon bin ich auch noch selbst schuld. Toll gemacht, Mama!

Nein okay

Jim sagt nicht einfach nein. Jim sagt nein okay. Und zwar immer. Wie bei anderen Vierjährigen auch, ist nein erstmal die Antwort auf alles bei uns. Mein Sohn will einfach anscheinend gar nichts. Sein nein okay stammt noch aus der Zeit, als Jim gar nicht sprach. Jim ist wütendDa habe ich ihn buchstäblich gegen die Wand gequatscht. Oder wie die Therapeuten es nennen: ich begleitete alles sprachlich, was ich tat. Und ich habe ihn natürlich auch viel gefragt, in der Hoffnung, eine Reaktion von ihm zu bekommen. Das ging dann so: „Jim, möchtest Du einen Keks?“ Keine Reaktion. Ich: „Nein? Okay. Du musst ja nicht.“ Das hat Jim sich verkürzt gemerkt und so kam nein okay zustande. Jetzt gibt es zwei Arten von Neinokays bei ihm. Das eine ist knackig kurz und bestimmt, fast trotzig. Das andere ist ein zögerndes Nein, gefolgt von einem leicht unsicheren, fragenden Okay, immer mit fürchterlich gequältem Gesichtsausdruck. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ihm das abzugewöhnen. Und macht mich rasend! Problematisch ist, dass nein okay bei Jim nicht immer nein bedeutet. Manchmal bedeutet es auch ja, das muss dann aber bitte der Empfänger der Nachricht entschlüsseln. Und wenn es weder nein noch ja bedeutet, dann hat Jim es einfach nur so gesagt, weil es ihm gerade durch den Kopf schoss. Das kann auch vorkommen. Für ihn ist das wahrscheinlich alles total logisch. Für uns ist es unser täglicher „Lost in Translation“-Moment.

Na gut

Dann gibt es das genervte na gut. Woher er das hat, weiß ich nicht. Vielleicht aus dem Kindergarten. Oder Lightning McQueen sagt das irgendwann mal im Film, keine Ahnung. Ich vermute, dass das eine Form von Ja ist, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Nachdem Jim zu allem nein okay gesagt hat, merkt er, dass er jetzt mit nichts dasteht. Also lenkt er ein und sagt zu irgendwas na gut. Wenn er abends noch fernsehen darf zum Beispiel und ich ihm alle Optionen unterbreite. Cars, Sendung mit der Maus, Der kleine Maulwurf, Bobo Siebenschläfer, Stinky & Dirty, das volle Programm eben. Alles ist nein okay. Irgendwann sagt er dann „na gut, Maus!“ Yay, das hat nur 15 Minuten gedauert. Gut, die Maus, alles klar. Sobald ich die Maus angemacht habe, kommt das sehr bestimmte, knackig kurze nein okay. Und das Spiel geht von vorne los, bis wir gefunden haben, was er eigentlich sehen, aber nicht mitteilen konnte. Wenn Jim in richtiger Gönnerlaune ist, dann tauscht er einen Tag lang das nein okay gegen na gut aus. Da ist dann alles na gut: Zähne putzen, Mittag essen, zum Spielplatz gehen, Schlafanzug anziehen, alles eben. Und es klingt immer so, als würde er über seinen Schatten springen und mir damit einen sehr großen Gefallen tun. „Komm, Jim, wir gehen zur Rutsche!“ – „Na gut, Mama.“ Ey, meinetwegen müssen wir nicht zum Spielplatz, damit ich anderthalb Stunden im nasskalten Dezemberwetter friere, während Du toben kannst. Aber na gut.

Kuschel… muschel

Den dritten Reizausdruck habe ich ganz sicher verursacht. Kennt ihr das, wenn man seltsame Reime bildet, weil es irgendwie niedlich klingt? Als Jim mal eine anständige Erkältung hatte und ordentlich neben der Spur war, lag ich mit ihm auf dem Sofa und sagte: Jim gemütlich„komm, kuschelmuschel.“ Kuschelmuschel habe ich auch gesagt, wenn er fürchterlich geweint hat oder wenn er eben einfach kuscheln kam. Warum ich das so gesagt habe, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich wünschte, es nie gesagt zu haben. Denn kuschelmuschel ist Jims Feelgood Phrase. Kuschelmuschelmama, Kuschelmuschelpapa, Kuschelmuscheljim, Kuschelmuschelbob. Hier wird viel gekuschelmuschelt. Er sagt das, wenn er müde ist, wenn er sich entschuldigt, wenn ihm langweilig ist, wenn er morgens aufsteht, wenn er abends ins Bett geht, wenn er einfach kuschelmuscheln will oder wenn es eigentlich überhaupt keinen Grund gibt und es ihm einfach zu leise zuhause ist. Und da gibt es auch zwei Arten: das bestimmende kannst-du-mich-jetzt-endlich-mal-in-den-Arm-nehmen-manno Kuschelmuschel und das theatralische ich-bin-ein-armes-Kind-niemand-kuschelt-mit-mir Kuschelmuschel. Beide bringen ihn zum Ziel. Und mich an den Rand des Wahnsinns.

Nach einem ganze Tag voller nein okay, na gut und kuschelmuschel in allen Tonlagen und Lautstärken, die Jims Stimmbänder hervorbringen können, sinke ich abends kuschelmuschelig auf die Couch. Ollie fragt „willst Du 24 schauen?“. Und dann sage ich es und muss dabei innerlich schmunzeln: ein müdes „na gut.“