Von Gladiatoren-Trainern und Spielplatz-Sheriffs

Von Gladiatoren-Trainern und Spielplatz-Sheriffs

04/05/2021 3 Von Marison

Kein Ort gibt mir so viel Stoff zum Schreiben wie der Spielplatz. Ich mache wirklich kein Geheimnis daraus, dass ich Spielplatzbesuche ungefähr genauso gern mag wie Zahnarzttermine. Das liegt unter anderem daran, dass es der Ort ist, an dem besonders deutlich wird, dass Jims Entwicklungsbahn eben ein wenig kurviger ist als die vieler anderer Kinder. Noch viel mehr Futter für Blogbeiträge liefern allerdings die Eltern, die man dort so trifft. Es vergeht aber auch wirklich kein Klettergerüst-Nachmittag ohne Szenen, aus denen man einen Film machen könnte.

Rollenverteilung

Damit Jim sich nicht allzu sehr an einen Spielplatz gewöhnt, wechseln wir die Location so oft es geht. Irgendwann wird die immer gleiche Rutsche auch einfach langweilig. Vergangenes Wochenende, am 1. Mai, waren wir im Motorikpark am Stadtrand. Ein Riesenareal mit Geräten, Gerüsten und allem, was das Motorikherz begehrt. Balancieren, springen, rutschen, wippen, klettern – hier gibt’s alles.

Dieses großartige Angebot an Bewegungsmöglichkeiten bringt aber auch die äußerst unangenehme Seite in Menschen hervor. Und davon konnte ich letztes Wochenende besonders viel erleben. Mütter und Väter scheinen ihre Rollen da gut aufgeteilt zu haben. Zumindest insofern, dass jede*r einen inneren Drang verspürt, eine dieser Rollen einnehmen zu müssen. Anscheinend kann man nicht einfach nur anwesend sein in diesem Park. Schon beim Eintritt wird das Gelände gescannt, dann wird sich sorgsam postiert, um die selbstauferlegte Aufgabe auch vollumfänglich erfüllen zu können. Wär’s nicht so absurd und anstrengend, könnte man drüber lachen. Konnte ich diesmal aber einfach wirklich nicht.

Gladiatoren-Trainer

Fangen wir mal mit den Vätern an. Kaum angekommen, werden sie von einem unbändigen Ehrgeiz Sheriff Apfelübermannt. Das Testosteron schießt in den wolkenlosen Himmel, die Multifunktions-Cargo-Hose in verwaschenem Khaki ist unmittelbar vorm Platzen. Erstmal laut schnaufen und dann noch schnell tasten, ob im Schritt auch noch alles sitzt. Der Junior bekommt noch einen Pep-Talk, bevor er wie ein Kindergladiator in die Wettkampfarena geschickt wird. Ab jetzt nur noch Kommandoton. Noch ein kurzer, unsicherer Blick zurück zum Papa, der mit einem Nicken zu verstehen gibt: „Mach sie fertig!“ Denn eins ist klar: hier kann nur das eigene Kind das schnellste, coolste, stärkste sein. Und wehe, ein anderes Kind stellt sich unabsichtlich in den Weg oder ist nicht schnell genug an einem Gerät, dann wird es einfach niedergemäht. Survival of the fittest. „Genau, Leo! Los, kommkommkomm, schnellerschnellerschneller, durchsetzen!“ Ja, Leo, mach mal bitte schneller, damit dein Vater die Biege macht und die anderen Kinder wieder entspannt spielen können. 

Entspann dich mal!

Am Hindernislauf wird die Kamera positioniert, bevor Vater und Sohn das Wettrennen starten. Der Zieleinlauf muss dokumentiert werden, falls es knapp wird. Fotofinish. Hier geht’s um die Ehre. Der Sohn darf kein unberechtigtes Erfolgserlebnis haben. So werden aus Jungs echte Männer. Jim balanciert auf einem Balken am Rand. Der Vater wird ungeduldig, wir sind im Bild. DAS GEHT NICHT, findet der Vater. „Heyheyhey, wegwegweg, Kameraaaa! EEEEEYYYY!! AUS’M BILD JETZT!“ Ich quittiere das mit einem kurzen „entspann dich mal, wir sind eh gleich weg“. In zwei Riesensätzen stürmt der Typ auf mich zu – ich kann das Testosteron jetzt riechen – und brüllt mir etwas um die Ohren, das ich hier nicht guten Gewissens wiedergeben kann. Wenn du sonst nix bist und kannst, dann biste halt eben das größte Arschloch auf dem Spielplatz. Bravo. Applaus! Der Startschuss fällt, das Rennen ist mäßig spannend. Der Vater gewinnt gegen seinen Sohn im Volksschulalter. Trotzdem lieber nochmal den Zieleinlauf mittels Kamera kontrollieren. Er ballt die Faust, „YES!“, dann nochmal schnell den Schritt checken. Alles noch da. Gott sei Dank! Wenn er jetzt noch grunzend Push Ups macht, geh ich kotzen. Ich muss da weg, so viel „tougher Typ“ halte ich nicht aus. 

Spielplatz-Sheriffs

Sheriff RutscheMütter. Uff. Die selbsternannten Spielplatz-Sheriffs, die den Aufnäher ihres Fjällräven-Rucksacks mit einer Polizeimarke verwechseln. Sie sorgen für Recht und Ordnung, wo es nichts zu richten oder ordnen gibt. Aber auch sie nehmen ihre Aufgabe ernst und wirken dabei unglaublich gestresst. Ist ja auch nicht ganz einfach, andere Eltern und Kinder andauernd auf irgendwas hinzuweisen, das wirklich überhaupt keine Rolle spielt. Jim sitzt oben am Rand einer Rutsche, auf der vier Kinder problemlos nebeneinander rutschen können. Er hat sich noch nicht entschieden, ob er sich trauen soll. Schon kommt von links „Entschuldigung, aber er muss schon rutschen oder Sie holen ihn da weg.“ Die selbsternannte Ordnungsdame gibt mir einem vorwurfsvollen Blick und ist gleich wieder im Stress, schließlich müssen drei andere Kinder geordnet die Rutsche runter. Das muss gut organisiert werden, hier kann nicht einfach jede*r machen, was er/sie will.

Wenn’s mal wieder länger dauert

An den Sprungtüchern, an denen man eine Acht hüpfen kann, hat Jim einen Tick zu lange Spaß auf einem Feld. „Hallohallo, er muss weiterspringen!! Wenn er das nicht kann, dann können Sie nicht an einem Tag kommen, an dem so viel los ist wie heute!“ Ich frage mich, warum am Eingang keine Trillerpfeifen verteilt werden. Ein Pfiff = zum nächsten Feld springen. Der feuchte Traum der Spielplatzorder*innen. An einer Steigleiter müht Jim sich ab, weil die Stufen noch ein wenig zu hoch für ihn sind. Es folgt das passiv-aggressive „warte, Schatz, die Frau muss erst ihrem Sohn helfen, DER DAS OFFENSICHTLICH NICHT KANN. Sie hätte uns vorlassen können, aber naja, jetzt müssen wir warten!“ Ich nehme mir fest vor, für den nächsten Spielplatzbesuch eine Handvoll Snickers zum Verteilen mitzunehmen. Wenn’s mal wieder länger dauert. Ist aber wahrscheinlich auch falsch, weil zu viel Zucker, es könnte zu gut schmecken. Den Rest gibt mir dann die Fjällräven-Sheriff-Mutter, die mir erklärt, dass der Balancierparcours (auf dem Jim ganz allein ist) eigentlich in die andere Richtung zu absolvieren ist. Leute, merkt euch: man darf nur gegen den Uhrzeigersinn die Balancierrunde machen. Nur so! Auch wenn euch niemand entgegen kommt, so will es das Gesetz. Die Mutti hat’s gesagt. 

Der Spielplatz als Schule des Lebens

Auf dem Weg zum Auto geht mir der Puls. Mir kommen lauter Eltern entgegen, die sich schon warm machen für ihre anstehende Aufgabe. Väter pumpen sich auf, Brustmuskel zucken. Mütter legen ihr strengstes Gesicht auf, die Lippen so schmal und gerade wie ein Stoß Strafzettel. Bloß kein Spaß, der wird gleich am Eingang abgegeben. Das hier ist Ernst. Der Spielplatz als Schule des Lebens. Hier wird einem nichts geschenkt. Im Auto mache ich für Jim den Cars-Soundtrack so laut an, wie es seine Ohren für einen Moment aushalten, damit ich einmal – guten Gewissens – FUCK YOU brüllen kann ohne gleich die nächste Verwarnung zu kassieren. Jetzt geht’s besser.