Vom Weihnachtsmuffel zum Christmas-Fan
„Mamaaa, Mamaaaaa, is colour Quissmas twee red?“ fragt Jim, während ihm schon die Augen zufallen und er sich in seine Dinosaurier-Bettdecke eingemummelt hat. Quatsch! Ein roter Weihnachtsbaum? Wo gibt’s denn sowas?! „Mamaaa, is colour Quissmas twee yellow? Nein Quatsch!“ flüstert Jim. Genau, auch Quatsch, Jim. „Mamaaa, is colour Quissmas twee greeeeeen? Yes, bravo, high five. Colour Quissmas twee is green! Zzzzzzzz!“ Na Gott sei Dank haben wir das noch klären können vor dem Einschlafen.
Wer hier schon länger mit dabei ist, erinnert sich vielleicht an „Es weihnachtet so mittelmäßig“. Letztes Jahr konnte ich Jim nicht mal ansatzweise für Weihnachten begeistern. Das ganze Brimborium um Nikolaus und Co. war kein Thema für Jim. Plätzchen habe ich allein gebacken. Und der Weihnachtsbaum war – glaube ich – auch nur mir wichtig. Ich gebe es gerne zu: Weihnachten ist meine Lieblingszeit im Jahr.
Weißer Weihnachtszauber
Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Weihnachten bei uns früher immer magisch war. In meiner Erinnerung hatten wir immer weiße Weihnachten. War wahrscheinlich gar nicht so, eher fünf Grad und Nieselregen. Aber ich habe dieses Bild im Kopf, und es ist ein schönes Bild. Bei uns kam das Christkind. Das konnte Klavier spielen. Wenn wir in unseren Zimmern das Weihnachtslied leise hören konnten, war das das Zeichen, dass wir das Wohnzimmer stürmen duften. Ich hatte immer den Wunsch, dass Jim diesen Zauber auch erleben würde. Die Weihnachtserfahrung vom letzten Jahr war eine kalte Dusche für meine Erwartung. Für dieses Jahr hatte ich mir also vorgenommen, die Dinge wirklich ganz explizit für mich zu tun, ohne Erwartung an Jim.
Lustig, lustig, trallallallalaaaa
Und jetzt sitzt hier ein Fünfjähriger, der von uns allen im heißesten Weihnachtsfieber ist. Seit Sankt Martin spielen der Quissmas twee und Nikokaus eine prominente Rolle in unserem Haushalt. Jim singt „Lustig, lustig, trallallallalaaaa“ in der Dauerschleife und fragt ununterbrochen die Farben des Weihnachtsbaums ab. Der Nikolausbesuch im Kindergarten (geimpft und PCR-getestet, im Freien!) hat großen Eindruck bei ihm hinterlassen, die Schokolade noch viel mehr, die Mandarine eher weniger. Und eventuell sind die kleinen Gaben vom Nikolaus auch größer ausgefallen als gedacht.
Das Adventskalender-Ritual läuft dieses Jahr auch sehr entspannt ab. Es gab keine Tränen, weil eben pro Trag nur ein Päckchen geöffnet werden darf. Jeden Tag schaut Jim, wo genau das Päckchen für den nächsten Tag steht, damit es auch ganz sicher da ist. Nicht, dass ein Weihnachtswichtel eins vergessen hat. Ordnung muss sein! Die Schokolade wird inhaliert wie nix und dann erklärt Jim, welches Päckchen morgen aufgemacht wird. Zur Sicherheit wiederholt er das mehrmals am Tag, damit auch wirklich alle Bescheid wissen. Sicher ist sicher!
Weihnachtsbäckerei
Jeden Nachmittag nach dem Kindergarten fragt mich Jim, ob wir wieder Kekse backen. Der Supermarkt freut sich mittlerweile über mich als treue Abnehmerin des Fertigteigs, denn ich käme erstens nicht mit der Teigproduktion für Jim hinterher und zweitens hat Jim auch wenig Lust auf Teig machen. Er will ausstechen. Sterne. Immer Sterne. Manchmal einen Bobo Siebenschläfer. Oder das große J für Jim! Und so freuen sich meine Kolleg*innen über eine Keksdose nach der nächsten.
Twinkle, twinkle, mega Lichterkette!
Der Vorteil am Leben in einem Kleingarten ist, dass die Anwohner einen unausgesprochenen Deko-Wettbewerb abhalten. Das „höher, schneller, weiter“ des Kleingärtners. The Lichterketten game is strong! Ich hätte mir nie vorstellen können, was das zur Weihnachtszeit bedeutet. Um euch ein Bild zu geben: Disneyland ist ein Witz dagegen. Hier glitzern und funkeln Rentiere mit Tannenbäumen um die Wette, während Nikolaus- und Sterneprojektionen an Hauswänden tanzen (dass es sowas gibt?!). Nicht zu vergessen die Sternenregen an Balkonen, die arrhythmisch blinkenden, blauen Lichterketten und die vielen aufblasbaren Schnee- und Weihnachtsmänner. Für die einen ein Augenschmaus, für die anderen ein Schlag in die Magengrube des ästhetischen Empfindens.
Die übereifrige Beleuchtung in der Nachbarschaft sorgt aber zumindest dafür, dass Jim tatsächlich Spaziergänge macht. Und so gehen wir im Dunkeln von Haus zu Haus, mit viel „Mamaaa, look, wow!“ und „oooooh, nice!“ Ohne diese Glitzerfunkelwelt kämen wir nicht mal fünf Meter weit, ohne dass Jim sich weigert weiter zu marschieren. Ich bin mir sicher, dass im Inneren der Häuser auch das ein oder andere Erwachsenenauge leuchtet, wenn draußen die Kinder staunen. Die ganze Mühe und Plackerei mit dem Entwirren der 200-Meter-Lichterkette muss sich ja auch gelohnt haben!
Verlässliche Ansage am Morgen
Inwieweit Jim die Geschichte vom Nikolaus, Weihnachtsmann oder Christkind versteht, weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig, denn es geht um etwas Atmosphärisches. Und das ist zur Weihnachtszeit eben besonders schön. Ich freue mich unglaublich, dass Jim das in diesem Jahr so wahrnimmt. Und deshalb lassen wir es hier auch mächtig krachen in der Weihnachtsbäckerei und allem drumherum. Solange ich ihn dafür begeistern kann, mache ich es.
Und so, wie jeden Abend das Rätsel um die Farbe des Weihnachtsbaums gelöst wird, so geht auch seit 1. Dezember jeder Tag gleich los. Was also morgen früh passieren wird: Jim wird in aller Herrgottsfrühe in unser Schlafzimmer tippeln, unter die Bettdecke kriechen, noch kurz warten bis ich ansprechbar bin und dann flüsternd verkünden: „Mamaaaa, Mamaaaaaa, steh auf! Ich muss number nine aufmachen!“ Da hat selbst der Morgenmuffel in mir keine Chance mehr muffelig zu sein.