Übung macht den Meister

Übung macht den Meister

03/02/2021 0 Von Marison

Immer wieder donnerstags: seit eineinhalb Jahren geht Jim jede Woche superfleißig zur Logopädie und Ergotherapie. Dazu hatte man uns schon lange vor der offiziellen Diagnose geraten. Um ehrlich zu sein: ich wusste vorher gar nicht, was bei der Ergotherapie passiert. Nach achtzehn Monaten kann ich das noch immer nicht genau erklären, aber das ist ja eigentlich auch nicht wichtig. Was aber hat die Ergotherapie in all dieser Zeit bewirkt?

Natürlich hat man heimlich Hoffnung, dass schon nach ein paar Therapieeinheiten ganz eindeutige Fortschritte zu erkennen sind. Und ja, natürlich waren wir zuerst enttäuscht, dass sich eigentlich gar nichts änderte. Rückblickend kann ich heute sagen: es ist erstaunlich, was in nur 18 Monaten alles passiert, wenn man kontinuierlich dran bleibt und auch zuhause weiter übt, also eben nicht nur auf die Therapieeinheiten zählt. Sicher, Jim ist auch älter geworden in der Zeit und hat große Entwicklungssprünge gemacht. Trotzdem sind die Erfolge der Therapien einfach nicht von der Hand zu weisen. Und darüber bin ich froh. Denn es zeigt, dass sich all die Mühen, die Zeit und auch das Geld bis jetzt schon wirklich gelohnt haben.

Erstmal einruckeln

Am Anfang war es holprig, das muss ich zugeben, denn es gab viele Wechsel bei den Therapeut*innen. Nicht weil wir das wollten, sondern weil es einfach einen hohen Personalwechsel im Therapiezentrum gab. Das war schwierig für Jim, denn Menschen mit ASS empfinden solche Veränderungen oft als enorme Herausforderung. Und wenn es dazu noch ein kleines Kind ist, kann man die Gründe auch nicht erörtern. Mittlerweile hat sich das eingependelt und Jim verbringt schon einige Monate mit denselben Therapeutinnen, was sicher zum Erfolg beiträgt. Außerdem mussten wir die richtige Tageszeit für ihn herausfinden. Zu früh am Morgen ging nicht, weil Jim morgens einfach eine Schnarchnase ist. Das hat er von mir… Am Nachmittag war es auch nicht möglich, weil er einfach fix und fertig vom Tag im Kindergarten und somit nicht mehr kooperativ und aufnahmefähig war. Jetzt ist es also 9 Uhr morgens. Das passt für ihn ganz wunderbar, ist nur für mich manchmal herausfordernd, weil es einfach beim besten Willen nicht meine Uhrzeit ist. Was von Anfang an gut geklappt hat: Jim war problemlos allein im Raum mit den Therapeut*innen, ich musste nie dabei sein. Das ist insofern gut, als dass Jim nicht abgelenkt ist durch mich. 

Volle Kanne Bällebad

BällebadManchmal bin ich ein bißchen neidisch, wenn Jims Ergotherapeutin mir erzählt, was sie alles gemacht haben. Ich meine, hallo, wer würde nicht gern einmal in der Woche ins Bällebad springen oder in einer Hängematte durch den Raum schweben?! Bevor das dran ist, wird aber auch kräftig gearbeitet. Da wird balanciert und geklettert, gemalt und gestempelt, zugeordnet und gepuzzelt. Verschiedene Stoffe machen Jim noch Schwierigkeiten. Lange mochte er keinen Sand anfassen. Oder Reis. Das ist sehr viel besser geworden. Aber um Fingerfarben oder Rasierschaum macht er noch immer einen großen Bogen. Malen ist auch nicht unbedingt seine Lieblingsbeschäftigung, er schaut lieber anderen beim Malen zu. In der Therapie macht er ganz gut mit, aber zuhause ist es nahezu unmöglich, ihn mit Stiften oder Wasserfarben zu locken. Ist ja auch logisch: die Mama kann man viel leichter um den Finger wickeln als die Ergotherapeutin. Sehr clever. Am Ende sitze ich meistens da und male seine Malbücher aus, während Jim mich beklatscht und das Malspektakel beendet mit: „Fääätiiich, gut gemacht, Mama, bravo!“ Na, vielen Dank.

Eins mit dem Sofa

CouchpotatoJim hat sich durch die Ergotherapie unglaublich verändert. Bis zu seinem dritten Geburtstag war er hingebungsvolle Couch Potato. Er war quasi eins mit unserem Sofa. Da hat er gesessen. Und gesessen. Und geschaut. Und gesessen. Für Bewegung war er nicht zu haben. Selbst auf dem Spielplatz hat er sich auf die Rutsche heben lassen, um dann dort oben zu sitzen und die Aussicht zu genießen. Und er hatte einen gesegneten Appetit. Insgesamt war er also gut proper und seeehr gemütlich. Von diesem Kind ist nicht mehr viel übrig. Jim ist in Bewegung. Er springt und tobt über unsere Couch, dass sich jeder Parcours-Profi eine Scheibe abschneiden könnte. Er klettert, zieht sich überall hoch, schlägt Purzelbäume und übt Weitsprung von der Heizung runter. Draußen rennt er über den Spielplatz wie ein Wilder oder stürmt die Halfpipe mit seinem Roller. Im Gegensatz zu früher fordert er sich jetzt selbst heraus und übt die Dinge so lange, bis er sie kann. Von sich aus.

Hauptsache Spaß!

Niemand zwingt Jim zu den Therapien. Er geht tatsächlich unglaublich gern dort hin. Klar, jeden Donnerstag gilt der Vormittag nur ihm. Er muss sich in keinem sozialen Gefüge (wie Kindergarten) beweisen. Und er kann spielen, ohne dass der Hund im Weg steht. Die Therapiestunden sind klar strukturiert, das gibt ihm Sicherheit. Außerdem sind seine Therapeutinnen einfach super. So super, dass Jim mittwochs abends beim Einschlafen immer wieder ihre Namen sagt, weil er sich so freut.

KletternEs ging nie darum, Jim zum Sportler zu machen. Und niemals wird (oder wurde) er zu Bewegung gezwungen. Letztlich hat die Ergotherapie etwas in ihm geweckt, was wir nicht in ihm wecken konnten: den Spaß an Bewegung und Spiel. Und zwar so viel Spaß, dass ich ihn gar nicht mehr runter bekomme vom Motorikpark, weil er noch mindestens fünfmal den ganzen Parcours ablaufen möchte bevor er sich noch stundenlang auf dem Trampolin in Ekstase hüpft. Das berührt mich jedes Mal sehr, denn in diesem Moment ist er nicht „Jim, der nicht spricht“, sondern „Jim, wie alle anderen Kinder“.