Planung ist das halbe Leben

Planung ist das halbe Leben

13/07/2022 0 Von Marison

Seien wir mal ehrlich: Kinder stellen das Leben auf den Kopf. Selbst wenn man sich noch so sehr vornimmt, dass man nicht zur Übermutti mutiert oder sich plötzlich alles nur noch um den Nachwuchs dreht – am Ende kann man sich doch gar nicht wirklich dagegen wehren. Und vielleicht findet man ja auf einmal etwas schön, was vorher undenkbar erschien? Die Veränderungen im eigenen Leben sind schon gravierend, finde ich. Manches habe ich sehr lieb gewonnen. Anderem trauer ich nach. 

Die größte Veränderung in unserem Leben ist – wenn man es negativ betrachtet – der Verlust von Spontaneität. Wenn man es positiv betrachtet, dann haben Planungssicherheit und Organisation bei uns Einzug gehalten. Es ist wie immer eine Frage der Perspektive. Aus welcher Perspektive ich das betrachte, ist sehr tagesformabhängig. 

Der Plan für den Tagesplan

Jim läuft mit RucksackWir haben schnell gemerkt, dass Jim ein Freund von Routinen ist. Wenn mal etwas von der Routine abweicht, dann muss er das vorher wissen. Ganz bewusst haben wir damals auf Tagespläne verzichtet. Oder… naja… ich war eher zu faul dafür. Besorgt hatte ich alles: Karton, Laminiergerät, selbstklebendes Klettband. Ich hatte keine Lust, Geld in Metacom zu investieren, oder das Internet nach irgendwelchen Symbolen zu durchforsten. Wenn ich mir schon so ein Teil an die Wand hängen sollte, dann wollte ich es selbst machen. Wollte… Letztendlich habe ich es nie gemacht.

Immer wenn ich Zeit hatte, fehlte mir die Inspiration. Wenn die Ideen sprudelten, hatte ich keine Zeit. Ein Teufelskreis. Und dann hatten wir auch ein bißchen Angst davor, dass uns so ein Plan viel mehr einschränken würde anstatt zu helfen. Dass uns die Manifestierung des Tagesablaufs in einem bebilderten Plan wirklich in einen sehr strikten Ablauf katapultieren würde, der gar keinen Spielraum mehr zuließe. Dass die Bilder sich so einbrennen würden (rw) in Jims Kopf, dass auch nur die kleinste Änderung gleich den ganzen Plan obsolet werden ließe. Dass er ohne diesen Plan nicht mehr durch den Tag kommen würde. Dass wir überall mit Kärtchen und Plänen und Symbolen hantieren würden. Für viele Kinder mag das richtig und gut sein, das stelle ich gar nicht in Frage. Wir hatten für uns das Gefühl, dass wir das auch anders mit Jim lösen können.

Tägliche Besprechung

Wie also haben wir das gelöst, wenn nicht mit einem Wandplaner? Wir besprechen. Und Jim fordert das auch lautstark ein. Jeden Tag. „Mama, Maaamaaaaaa, morgen geehne inne?“ (Mama, morgen gehen wir in die…???) Und wehe, ich antworte nicht. Also sage ich ihm, dass wir morgen in den Kindergarten gehen. „Und nach, mommy?“ Danach gehen wir nach Hause. „Und nach, mommy?“ Hm, danach können wir vielleicht noch ein bißchen Fahrrad fahren oder so. „Hm, ja, ok. Und nach?“ Und so besprechen wir jeden Tag, was morgen passiert. Vom Frühstück bis zum Einschlafen. Es ist unser Jour Fixe-Termin, unser daily briefing.

Bei diesem täglichen Planungsgespräch mit Jim behalte ich oft einige Details für mich. Nämlich dann, wenn sie noch nicht absolut sicher sind. Mit positiven Überraschungen kann Jim meistens ganz gut umgehen. Also wenn wir spontan in den Prater gehen zum Autoscooter fahren. Oder ein Paket für ihn angekommen ist. Das ist eh das größte für ihn. Schwierig wird’s, wenn Dinge nicht stattfinden, die wir vorher aber besprochen hatten. Zum Beispiel wenn wir uns mit Freund*innen verabredet haben, das Treffen dann aber doch platzt. Dann ist er unglaublich enttäuscht und sein Tag gerät völlig aus den Fugen. Aussagen wie „vielleicht treffen wir morgen XY“ sind nicht hilfreich. Für Jim sind Eventualitäten nicht greifbar. Die Dinge sind. Oder sie sind nicht. Aber dass sie „vielleicht sind“, existiert für ihn (bis jetzt) nicht.

Immer der Reihe nach

Jim in TramAuch nicht zu unterschätzen: die Reihenfolge. Es ist wichtig, dass wir die Abläufe auch in ihrer richtigen zeitlichen Abfolge besprechen. Wenn ich Jim morgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Kindergarten bringe, fahren wir erst mit dem Bus und dann mit dem Zug (=Straßenbahn, aber wir sagen der Einfachheit halber Zug). Folglich müssen wir auf dem Rückweg erst mit dem Zug und dann mit dem Bus fahren. Genau da ist mir auch so ein richtiger Anfängerfehler passiert. Ich habe nämlich immer nur gesagt, dass wir mit Bus und Zug fahren. Also standen wir auf dem Rückweg an der Straßenbahnhaltestelle, die Straßenbahn kam und Jim wollte partout nicht einsteigen, weil ich ja gesagt hatte, dass wir Bus fahren. Er war sauer auf mich. Ich hatte den Plan nicht eingehalten. Passiert mir so auch nicht nochmal.

Jims Plan, meine Rettung

Manchmal strengt es mich an, dass ganz viele Dinge nicht mehr so spontan möglich sind. Oder vielmehr: dass selbst kleinste Störungen im Tagesablauf ganz große Auswirkungen auf Jim haben. Auf der anderen Seite strukturiert es auch meinen Tag ganz wunderbar. Ich verplemper meine Zeit mit Jim nicht mit Entscheidungsfindung, denn wir haben das ja schon alles festgelegt. In meiner Jim-freien Zeit allerdings sieht es anders aus. Da muss ich das anscheinend kompensieren. Es fällt mir unglaublich schwer, Pläne für mich zu machen und diese dann auch durchzuziehen. Oft erledige ich dann nur einen Bruchteil. Oder auch gar nichts davon. Das stresst. Und gleichzeitig ist es aber auch so wichtig und gut. Mal nichts tun. Keinem Plan hinterher rennen. Nichts abhaken. Dieser Zustand hält meistens eh nur relativ kurz an.

Spätestens am Abend, wenn Jim im Bett liegt und seinen Sternenhimmel anschaut, wird der Tagesplan für morgen schon wieder im Kopf zusammengestellt. Es ist rührend. Und verlässlich. Ohne die Gewissheit, dass morgen wirklich kommt, kann Jim nicht einschlafen. Das beruhigt ihn. Und für mich ist es eine Möglichkeit, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Einen Dialog zu führen. Wenn Jim mir nicht erzählen kann, wie sein Tag war, so können wir doch zumindest darüber reden, wie der nächste Tag wird. Auch wenn es fast immer gleich abläuft – ich liebe diese Gespräche sehr. „ Mamaaa, Mamaaaa, morgen gibbs Knätteproo und Apfel.“ Ja, Jim, wie jeden Morgen. Knäckebrot und Apfel. Versprochen.