Ordnung muss sein
Wir sind ein mäßig ordentlicher Haushalt. Jim und Bob tragen dazu bei, dass man bei uns nicht immer vom Boden essen kann. Zwischen Kekskrümeln, Duplosteinen und Sofakissen spielt es sich anscheinend am besten. Aber in welcher Familie ist das nicht so?! In der eigenen Unordnung fühlt sich Jim wohl. Solange er etwas umwerfen oder ausschütten kann und es dabei richtig Krach macht, ist die Stimmung gut.
Von Null auf Hundert
Nicht in allem ist er kindlich-unordentlich. In manchen Dingen ist er penibler als ein deutscher Beamter im Bürgeramt. Nämlich immer dann, wenn etwas aufgereiht oder angeordnet werden kann. Das ist sein Schönstes. Es ging los mit Zahlen. Jim war gerade zwei Jahre alt, als er Zahlenreihen für sich entdeckte. Man weiß gar nicht, wieviele Zahlenreihen man im eigenen Haushalt hat. Bei uns ist da zum Beispiel eine Box mit acht Tim und Struppi DVDs, die durchnummeriert sind. Jim hat darauf gezeigt, wir haben die Nummer gesagt. Das ging stundenlang so. Irgendwann waren dann auch die Programmnummern der Spülmaschine und die Hitzeregler am Herd dran. Mit drei Jahren konnte er auf Englisch und Deutsch bis 100 zählen. Das macht er jetzt auch noch, wenn er aufgeregt ist oder schreit, um sich selber zu beruhigen. Oder zum Einschlafen. Da wird auch gern zig Mal bis 100 und zurück gezählt, bis ich schließlich eingeschlafen bin.
Gleichzeitig mit den Zahlen kamen auch die Buchstaben. Meine Schwester hatte Jim Magnetbuchstaben geschenkt, als er gerade drei war. Zu unserer Überraschung legte Jim von Anfang an immer wieder das ganze Alphabet in einer Reihe. Und es wurde auf Teufel komm raus alles buchstabiert. Jeder Pulli mit Print musste erstmal durchgecheckt werden. Wir haben versucht, durch die Buchstaben zu Wörtern zu kommen, und in einigen Fällen ist es durchaus auch gelungen. Es hatte aber auch zur Folge, dass Jim monatelang nichts anderes von sich gab als „A wie Apfel, A is for apple, B wie Baum, B is for bear…“. Und es kam wie es kommen musste – die zwei Wörter mit dem wenigsten Nutzen waren die beliebtesten: Xylophon und Yeti. Wörter schreiben mit den Magnetbuchstaben war weniger interessant für Jim. Manchmal legte er Wörter, die er irgendwo gesehen hatte, wie Maus oder PIXAR. Ob er wußte, was er da legte, wissen wir nicht. Das Alphabet hatte so sehr Überhand genommen, dass ich irgendwann anfing bis 100 und zurück zu zählen, um das auszuhalten. Während im Sommer alle Kinder Eis essen wollten, saßen wir auf unserem Balkon und malten mit Straßenkreide das Alphabet in allen Farben und in Klein- und Großbuchstaben auf die Bodenplatten, bis wir keinen Platz mehr hatten und der Hund schon blaues Fell hatte, weil es kein freies Fleckchen mehr für ihn gab. Also einfach mitten rein ins Buchstabenkissen. Jim legte besonders großen Wert darauf, dass das ganze Alphabet auf genau eine Platte geschrieben wurde, in einer ganz bestimmten Reihenfolge:
A B C D E
F G H I J K
L M N O P
Q R S T U
V W X Y Z
So. Und nicht anders! Dann gab es einen Regenschauer und wir konnten wieder von vorne anfangen. Für Jim waren die Buchstaben das größte. Er hatte einen Riesenspaß und das war die Hauptsache.
Einparkprofi
Dann gibt es da die Sache mit den Autos. Jims Sammlung ist beachtlich. Aber die Hot Wheels der einen Bahn dürfen auf keinen Fall auf der anderen Bahn fahren. Da wird nicht gemischt. Die Autos, die er gleichzeitig mit der Garage geschenkt bekam, dürfen ausschließlich für die Garage benutzt werden. Da gibt es keine Ausnahme. Und wehe, die Autos werden nicht in der richtigen Reihenfolge in die Garage gestellt. Die Reihenfolge kennt allerdings nur Jim. Ich kann mir beim besten Willen die Anordnung der 24 Autos nicht merken. Ollie hatte Jim mal ein Machbox-Set geschenkt. Seitdem die Autos nicht mehr in der Schachtel sind, werden sie von Jim immer in der gleichen Abfolge aufgereiht, nämlich so wie sie auch ursprünglich in der Schachtel angeordnet waren. Mal stehen sie nebeneinander, mal hintereinander, aber immer grün-blau-schwarz-silber-rot. Da führt kein Weg dran vorbei.
Auf Dein Zimmer, sofort!
Völlig aus der Fassung gerät Jim, wenn seine Tonie-Figuren durcheinander geraten. In einem DIY-Anfall hatte ich ihm ein Haus für seine Tonie-Sammlung gebastelt. Schön mit Magnetfarbe, damit die Figuren auch auf der Dachschräge stehen bleiben. Mit der Zeit wächst so eine Sammlung und mittlerweile müssen sich einige Figuren ein Zimmer teilen. Am beliebtesten ist das Dach, da wird es langsam eng. Jede Figur hat einen angestammten Platz. Das war mir erst nicht bewusst. Eines Tages kamen wir nach Hause und Jim blieb wie angewurzelt in seiner Zimmertür stehen, stampfte wild mit den Füßen auf und war sichtlich nervös. Er fixierte das Haus und dachte scharf nach. Dann ging er sehr entschlossen vor und stellte die Figuren wieder an ihren richtigen Platz. Ollie hatte nur ein paar Figuren vertauscht, weil er wissen wollte, ob Jim das bemerkte und um ihn aus seiner Komfortzone zu holen. Damit war klar: Jim sah sofort den Fehler im System, dafür brauchte er nicht mal ein paar Sekunden. Es kommt immer mal wieder vor, dass die Figuren runterfallen, beim Saubermachen zum Beispiel. Ich helfe mir selbst mit Fotos, damit ich alles wieder dahin stellen kann, wo es hingehört. So gibt es nämlich keine Krise.
Man könnte denken, es sei mühsam, dass immer alles in einer bestimmten Ordnung sein muss. Ehrlich gesagt: es hat auch seine guten Seiten. Jim prägt sich für alles eine Anordnung ein. Ich muss ihm nicht den Unterschied zwischen rechtem und linkem Schuh erklären, denn er merkt sich, wie die Schuhe angeordnet sein müssen. Er hat noch nie seine Hose oder sein T-Shirt falsch angezogen. Nur bei Socken kommt er durcheinander, denn die sind ja selten fußspezifisch. Das findet er seltsam. Außerdem geht bei uns kein Spielzeug verloren, nichtmal das kleinste Puzzleteil. Alles kommt wieder an seinen Platz. Sehr praktisch.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Jim bestimmt sein eigenes Regelwerk. Und das hat eben auch Ausnahmen. Seine Ordnungsliebe gilt nämlich nur bei uns Zuhause. Sind wir im Urlaub, dann fliegen Buchstaben, Autos und Tonie-Figuren fröhlich durcheinander. Da gibt es keine Reihenfolge, da wird nicht angeordnet. Das macht mich dann nervös. Ich stampfe zwar nicht mit den Füßen, aber ich erwische mich dabei, wie ich bürgeramts-penibel die Autos nach grün-blau-schwarz-silber-rot ausrichte, Buchstaben gerade lege und mir die Aufstellung der Tonies merke, damit sie abends wieder exakt so am Bett stehen, wie am Abend zuvor. Und plötzlich kommt Jim mit meinen Flip Flops um die Ecke, den linken Schuh am rechten Fuß und den rechten Schuh am linken Fuß. Das muss mir irgendwann mal jemand erklären. Ordnung ist anscheinend wirklich nur das halbe Leben.