Nur dabei statt mittendrin

Nur dabei statt mittendrin

22/07/2021 0 Von Marison

Vor einer Woche ist Jims bester Kindergartenfreund weggezogen. Ich kann nicht sagen, ob Jim das wirklich realisiert hat. Mich hat es erstaunlich traurig gemacht. Die beiden waren wie Bimmel und Bommel und haben wirklich jeden Quatsch miteinander gemacht. So wie sich das für anständige Kindergartenfreundschaften eben gehört. 

Kindergartenfreunde

Jims Kumpel war zwei Jahre jünger als Jim. Wenn man vier ist, sind zwei Jahre eine Ewigkeit. Aber die beiden hatten sich gefunden. Jim hatte einen Spielkameraden, der eben nicht so hohe Sprach- und Spielanforderungen stellte. Damit kam er gut zurecht. Sie haben miteinander getobt und gelacht. Sein Kumpel hat ihm die Choreographie zu „We will rock you“ beigebracht und somit mir einen wochenlangen Ohrwurm beschert. Gegen Freddie Mercury habe ich allerdings nichts, es hätte wirklich schlimmer kommen können. Nun ist Jims Kumpel nicht mehr da. Und Jim muss sich neu orientieren, denn jetzt ist ihm eine Konstante abhanden gekommen.

Im Kindergarten scheint das erstmal kein großes Problem zu sein, denn dort gibt es klare Strukturen und feste Abläufe. Die Kinder in der Gruppe kennen sich gut. Oft ist das Spiel ja auch angeleitet. Damit kommt Jim wunderbar zurecht. Aber wie ist das außerhalb der sicheren Kindergartenmauern? Wenn diese Strukturen und Abläufe eben fehlen? Woran kann Jim sich dann orientieren?

Spielplatzdurcheinander

Auf dem Spielplatz fällt Jim erstmal nicht auf. Die meisten Kinder kennt er eh, denn der Spielplatz ist nur einen Steinwurf vom Kindergarten entfernt und somit ein beliebter Treffpunkt am Nachmittag. Alle rennen durcheinander, rufen sich etwas zu, spielen fangen oder verstecken und lassen nur diejenigen auf den Kletterturm, die das Loswort wissen. Jim rennt einfach mit. Kreuz und quer. Was die anderen rufen, ruft er auch. Er imitiert sie. Jim klettert auch auf den Turm. Die anderen lassen ihn passieren, auch wenn er das Loswort nicht sagt. Sie kennen ihn ja.

Die Käseglocke

Es macht mich froh zu sehen, dass Jim nicht an den Rand gedrängt wird. Dass er wahrgenommen wird von den anderen Kindern („oh schau, Jim ist da!“). Gleichzeitig bedrückt mich die ganze Situation auch, denn wenn man Jim Rutscheganz genau hinsieht, merkt man schnell, dass Jim zwar mit dabei ist, aber eben nicht mittendrin. Jim ist nicht verwoben in das Kinderknäuel. Obwohl er mit der Masse mitläuft, ist er sehr für sich. Es wirkt manchmal, als sei er unter einer Käseglocke. Er kann die anderen sehen und hören, sie ihn auch, aber so richtig zueinander finden sie nicht. Die Spiele sind zu komplex. Jim will rutschen, so wie er immer rutscht. Und sich nicht an Spielregeln halten, die ihm von außen auferlegt werden. Die anderen Kinder lassen ihn. Er rauscht da so durch. Das Kletterturm-Spiel pausiert, solange Jim da ist. Meistens zumindest. 

Wenn sie Jim mal nicht passieren lassen, wenn es ihm zu ruppig und wild und unübersichtlich wird, zieht er sich zurück. Es irritiert ihn für einen Moment, bis etwas anderes seine Aufmerksamkeit beansprucht. Oder wir setzen uns auf den Rand der Sandkiste und essen den obligatorischen Apfel, während wir das Spielgeschehen beobachten. Sobald es ruhiger geworden ist, unternimmt Jim einen neuen Versuch und wirft sich wieder ins Geschehen. Er macht das von sich aus. Er entscheidet, wann er sich der Sache wieder stellt. Manchmal geht es schneller, manchmal langsamer und manchmal auch gar nicht. Dann gehen wir nach Hause.

Die Unterstützung der anderen

Der Spielplatz war nie mein Lieblingsort. Aber es wird besser. Ich schließe langsam Frieden mit diesem Ort. Weil ich sehe, dass Jim dort Spaß hat und auch für sich selber gut regulieren kann, wann ihm etwas zu viel ist. Der Jim ZiplineStich im Herzen bleibt trotzdem, wenn sich alle Kinder ein Spiel ausdenken und Rollen vergeben, aber Jim außen vor bleibt. Ihm scheint das rein gar nichts auszumachen, er rutscht und schaukelt, balanciert und hüpft. Und freut sich lautstark. Der Stich ist allein in meinem Herz. Weil ich mich frage, ob Jim nicht vielleicht doch mitspielen würde, wenn nur ein Kind ihn einladen und unter seine/ihre Fittiche nehmen würde. So wie sein kleiner Kindergartenkumpel es getan hat. Vielleicht hätte er ganz großen Spaß daran. Und vielleicht sollte ich mich nicht in meinem Herzschmerz suhlen, sondern das tun, wovor ich mich am meisten scheue: mit den anderen Eltern reden. Mir einfach ein Beispiel an Jim nehmen und mich ins Getümmel werfen. Denn woher sollen die anderen wissen, dass Jim Unterstützung von Gleichaltrigen braucht, weil er nicht weiß, wie er Zugang zu ihnen findet? Einen Versuch ist es wert. Was kann schon schiefgehen?! Genau: gar nix. #peptalktomyself