Nicht mein Platz

Nicht mein Platz

17/06/2022 1 Von Marison

Ich sag’s wie’s ist: ich habe keine Lust mehr. Auf das Schreiben schon, aber nicht auf das Drumherum. Instagram, Facebook und Co. sind wie eine Krake, die ihre Tentakeln nach dir ausstreckt, dich packt und dann nicht mehr loslässt. Dabei willst du die ganze Zeit nur eins: weg! Zumindest geht es mir so. Ich will da weg. Social Media ist ein Energiesauger und mood downer. Warum?

Es geht nicht ohne

Als ich angefangen habe zu schreiben, tat ich das aus rein egoistischen Beweggründen. Ich habe mir einfach alles von der Seele geschrieben. Es war wie eine Art Tagebuch, das andere auch lesen konnten. Und damit andere es auch finden konnten, habe ich den Blog auf Instagram und Facebook kommuniziert. Alle, die einigermaßen ernsthaft und über das private Maß hinaus auf den sozialen Medien aktiv sind, wissen: das ist einfach richtig Arbeit. Und zeitintensiv. Ich habe es nie wirklich gern gemacht, aber es war die einzige Möglichkeit, den Blog bekannt zu machen.

Allzeit bereit, sonst biste weg!

Social Media zieht dich aus. Es kriecht in die letzte Ecke deines Privatlebens. Nichts ist heilig. Und da möchte ich nicht mitmachen. Ich will nicht jede Minute unseres Alltags filmen. Es muss niemanden interessieren, wie wir geschlafen haben. Der Inhalt unserer Töpfe und Pfannen ist genauso unspektakulär wie bei den meisten von euch. Ich habe keine Lust auf eine Kooperation mit einem „autism advocate“ Klamotten-Label. Ich will auch keinen Schmuck in die Kamera halten, der mir eigentlich nicht gefällt. Muss ich ja auch nicht. Aber wisst ihr, was passiert, wenn man nicht bei jeder Gelegenheit das Handy im Anschlag hat zum Filmen und Posten? Man verliert an Reichweite. Und das bedeutet: es kommen keine neuen Follower*innen, die Posts werden nicht geliked, die Stories nicht gesehen. Man verblasst einfach. Spielst DU nicht nach den Regeln, dann darfst du halt nicht mitspielen. Letztlich ist es so: je weniger ich mein Privatleben schütze, desto mehr Hype gibt es um mich. Den Preis will ich nicht zahlen. Aus zwei Gründen. Erstens: es geht einfach wirklich niemanden etwas an. Zweitens: ich bin nicht allein. Da gibt es noch zwei Menschen, die Mitspracherecht haben. Der eine hat Social Media schon vor langer Zeit abgeschworen. Der andere kann die Tragweite noch nicht greifen. 

Wer jammert, bleibt!

Und dann gibt es noch die Autismus Bubble. Wenn ich das jetzt schreibe, bewege ich mich auf dünnem Eis. Und wahrscheinlich wird es auch den ein oder anderen verärgerten Aufschrei geben. Das ist in Ordnung, darf ja jede*r eine Meinung dazu haben. Ich empfinde es als ungemein wichtig, das über Autismus gesprochen und aufgeklärt wird. Jedes Profil hat seine Berechtigung. Und jedes Gefühl ist valide. Das mal vorweg. Und was ich jetzt schreibe, betrifft nicht die Profile erwachsener Autist*innen und ist meine ganz persönliche Meinung, kein Rundumschlag. Es erstaunt mich, dass so viele Profile von sich selbst behaupten, aufklären zu wollen und sich dann doch in defizitären Berichten einnisten. Es liegt ja auch in der Natur des Menschen, erstmal zu stöhnen und zu erzählen, wie schlimm alles ist. Wie unfair und beschwerlich. Man tut sich dort gern selbst auch leid. Und anscheinend liegt es auch in der Natur des Menschen, das am liebsten zu konsumieren. Bißchen Jammer-Tourismus, geil!

Dr. Google ist ein Witz dagegen

Leser*innen werden bombardiert mit Fachbegriffen. Plötzlich wird alles pathologisiert. Jedes Verhalten, das die Kinder an den Tag legen, ist plötzlich „ganz typisch für Autist*innen“. Und genau da wird es schwierig für mich. Jim ist für mich keine Ansammlung an medizinischen und psychologischen Termini. No offense an dieser Stelle. Ich brauche einfach nur diese Begriffe nicht. Dieses Sammelsurium an Begrifflichkeiten überfordert mich. Ich finde uns, unsere Lebensrealität, dort einfach nicht wieder. Eigentlich sorgt es nur dafür, dass ich Jims Diagnose anzweifle. Ist er wirklich Autist? Denn so gut wie nichts deckt sich mit den Erzählungen anderer Profile. Und gleichzeitig schreiben mir so viele liebe Menschen: „ich finde mich in deinen Geschichten wieder.“ Ja, was denn jetzt? Ich bin durcheinander. Und ärgere mich, dass ich mich von Ausschnitten anderer so beeinflussen lasse, dass ich unser Leben in Frage stelle. Instagram und Facebook sind schlimmer als Dr. Google!   

Der Blog lebt davon, dass er gelesen wird. Die Kommentare, das Feedback – das ist meine Bezahlung. Wenn die Zahl der Leser*innen schwindet, dann kann das zwei Gründe haben: der Content langweilt. Oder: die Menschen konsumieren lieber mundgerechte Insta-Stories mit lustigen Bildern dahinter, als einen Text, für den man sich ein bißchen Zeit nehmen muss.  Vielleicht bin ich auch aus der Zeit gefallen, weil ich nicht einfach poste, sondern meine Blogbeiträge vorschreibe, liegen lasse, nochmal lese, korrigiere, ändere, in den „vielleicht später“-Ordner verschiebe. Dieser Blog ist keine 24-Stunden-Nummer. Er ist viel Herzblut.

Hohe Preise und Eitelkeiten

Nicht alles ist schrecklich. Ich habe hier tolle Menschen kennengelernt. Freundschaften geschlossen. Dafür bin ich dankbar. Diese Freundschaften werden hoffentlich Bestand haben, auch über Jim’s Journey und die Social Media-Präsenz hinaus. Wie (und ob) ich weitermache, weiß ich noch nicht. Ich werde mir Gedanken machen. Eins ist sicher: ich bin keine Aktivistin, da haben andere mehr Kondition als ich. Meine Bemühung, nicht defizitär zu erzählen und mich auf die Erfolge statt auf die Schwierigkeiten zu konzentrieren, ist keine toxic positivity, sondern mein Versuch, durch’s Leben zu gehen und Jim alle Möglichkeiten der Welt zu eröffnen. Zig mal war ich unmittelbar davor, alle meine Profile zu löschen, mich freizumachen von der Social Media-Krake. Und habe es dann doch nicht geschafft. Weil ich mich verantwortlich fühle. „Weil man fortführt, was man begonnen hat!“. Weil durchhalten angeblich die Devise ist. Der Preis ist ziemlich hoch. Und ich erstaunlich eitel, wenn ich mir darüber Gedanken machen. Ich könnte ja auch einfach gehen. Uff.