Mit Ansage
„Mamaaa?? Mamaaaaaaa? Ich macht Schäcksn Soorm weiter, ok?? Jaaa, gute Arbeit!“, ruft Jim mir zu, während er erst aufgeregt auf mich zu und dann gleich wieder in die entgegengesetzte Richtung läuft, um sich seinem Jackson-Storm- Bausatz zu widmen. Das Annoncieren, das ist neu. Überhaupt ist ganz vieles neu. Wir müssen uns noch daran gewöhnen, dass wir seit ein paar Wochen immer und jederzeit hören können, wo genau sich Jim gerade aufhält. Und vor allem: was er gerade macht oder gleich machen wird. Das Mitteilungsbedürfnis hat er wohl von mir. Armer Ollie.
Dauersuppe und Treppenkrach
„Mmmmh, lecker. Ich esst Suppel!“, verkündet Jim bei jedem Löffel Buchstabensuppe. Und freut sich dabei so sehr, dass er den Löffel schief hält und alles wieder in den Teller platscht. Clever, so macht er sich selbst eine Dauersuppe. Wird nie leer. „Oh, woooow, bravo, Suppel, sehr gut!“ Platsch. Ich frage mich, wieviele Menschen es wohl gibt, die sich so sehr über einen Teller Suppe freuen können, wie unser Sohn. Jedenfalls muss ich mir keine Sorgen machen, dass er sich den Mund verbrennt, dafür dauert das Suppenspektakel einfach zu lange.
„Un hüpf! Un hüpf! Un hüpf!“, jubelt Jim, während er jede einzelne Stufe unserer Wendeltreppe runterhüpft. Im Kopf kaufe ich schon die x-te Packung Merci für die Wohnung unter uns, die das stoisch erträgt und sich nie beschwert (vielleicht wohnt da niemand?!). Jim hat nämlich zuhause nur eine Fortbewegungsart: hüpfen, mit beiden Beinen, Hauptsache laut und mit viel Krawumm.
Gelbes Gold und schmerzender Rücken
„Dassa gääib Pappika, dassa rooot Pappika, dassa güüün Pappika. Oooh, Papa Taatoffel!“, zählt Jim auf, während ich Paprika schnippel und Kartoffeln schäle. Nichts davon isst er. Kartoffeln isst hier eh nur einer, nämlich Ollie, aber in einem gescheiten belgisch-deutschen Haushalt darf das gelbe Gold natürlich nicht fehlen. Alles was rot ist, ist bei Jim Tomate, so auch die getrockneten Cranberries, die ich mal gekauft hatte, weil das doch so Superfood-Zeug sein soll. Sie trocknen einfach weiter vor sich hin, weil sie einfach nur sauer und staubig sind, sonst nix.
„Mamaaaa, hiiisetze. So, jetzt ist gut!“, seufzt Jim erleichtert, wenn er sich auf der Bordsteinkante niederlässt, obwohl wir es ein bißchen eilig haben. „Aaaah, sitze.“ Jim entspannt, während ich immer nervöser werde, weil wir uns jetzt wirklich sputen müssen. Das ist Gesetz: je eiliger wir es haben, desto langsamer wird Jim. Das ist aber wohl bei allen Kindern so. Auf meine Frage, ob wir jetzt weitergehen können, antwortet Jim klar und deutlich: „Nein!“. Einatmen, ausatmen, Marison. „Okay, weiter. Mama Arm.“ Mein armes Kreuz… so kommen wir aber zumindest vorwärts.
Was ist morgen? Und wo gehen wir hin?
„Mama, pliiis, quiet time. Pänk ju uiiuii matsch!“, flüstert Jim abends im Bett, bevor er die Augen zu macht. Er macht sie dann noch hundertmal wieder auf und erzählt mir von Lightning McQueen und dem Piston Cup, immer flüsternd. Dann müssen wir auch noch ausgiebig besprechen, was morgen auf dem Plan steht: „Moogen? Moogen Kinnagaaten, Turnsaal, Tessasse geehn, Jim zieh Patschen an, wascha Hände, gehs aufs Klo.“ Wenn das geklärt ist, dreht Jim sich mit einem theatralischen Seufzer um. Irgendwann schläft er ein, nicht ohne mir nochmal zu versichern, dass Jackson Storm böse ist. Gute Nacht.
Das Annoncieren beschränkt sich nicht nur auf Jims Tätigkeiten. Gern kommentiert er auch, was andere tun. Besonders gern, was Ollie und ich tun. Und am allerliebsten, wenn es eigentlich nicht besonders angebracht ist. Im Restaurant zum Beispiel: steht einer von uns beiden vom Tisch auf, klärt Jim die restlichen Restaurantbesucher*innen mit viel Engagement darüber auf, dass „Mama/Papa geht Lulu macht! Sehr gut!“. Wisst ihr Bescheid?! So viel Anteilnahme vom eigenen Kind. Sie geben einem ja soviel zurück.
Mut zur Veränderung durch Sprachverständnis
Dass Jim sich immer mehr mitteilen kann, ist das eine. Das andere ist, dass auch sein Sprachverständnis so viel besser geworden ist. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass er im Moment täglich große Fortschritte macht. Unser Alltag wird dadurch so viel leichter. Denn Jim kann Veränderung besser akzeptieren, wenn wir ihn darauf vorbereiten. Und das können wir nun besser. Wir sprechen einfach viel darüber. Vorher hatte das wenig Effekt, denn er konnte es nicht verstehen. Heute merken wir, dass er sich besser damit anfreunden kann, wenn die Dinge nicht wie immer laufen, solange wir rechtzeitig mit der Vorbereitung begonnen haben.
Die Sache mit der Erwartung
Gehofft hatte ich immer, dass die Sprachentwicklung einsetzt. Aber ich habe vorsichtig gehofft und nicht allzu viel erwartet. Wer nicht so viel erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden, aber im besten Fall eine großartige, tolle Überraschung erleben, so wie wir im Moment. Wer in der Hoffen-Phase ist – euch möchte ich mitgeben: so war es bei uns. Wenn es euch Hoffnung macht, dann bin ich froh.
Aber bitte denkt daran: es ist kein Wettbewerb. Und Jim ist nicht der Benchmark. Bei den einen kommt es früher, bei anderen später, bei manchen gar nicht. Nichts davon ist besser oder schlechter als das andere. Das Einzige, was wirklich wichtig ist: feiert jede Form der Kommunikation mit euren Kindern. Ganz gleich, ob sie rein verbal, mit Hilfe von Bildern, Gebärden, mit technischer Unterstützung oder in ganz anderer Form abläuft. „Ich hab dich lieb“ kann auf ganz unterschiedliche Weise mitgeteilt werden. Es muss nicht immer ausgesprochen werden.
So viel Liebe und so viel Geduld. Bewundernswert. Macht weiter so. Ich wünsche Euch alles Gute!
Vielen Dank! ❤️