Meister der Trennung

Meister der Trennung

06/04/2023 0 Von Marison

Fasziniert und gleichzeitig betrübt – das bin ich bei einem Thema, in dem Jim absoluter Meister ist: Jim trennt Lebensbereiche völlig und total voneinander ab. Eine Vermischung kommt für ihn nicht in Frage. Theoretisch macht mir das nichts aus, es sind ja seine Lebensbereiche. Praktisch ist es aus organisatorischen Gründen manchmal kritisch. Und ich bin halt auch neugierig, da kann ich nicht aus meiner Haut.

Lass in Ruhe

Jim KlettergerüstKlingt jetzt erstmal alles kompliziert, ist es aber gar nicht. Ich will das mal erklären: für Jim findet Kindergarten ausschließlich im Kindergarten statt. Zuhause nur zuhause. Therapie nur während der Therapiezeit. Spielplatz nur auf dem Spielplatz. Das macht Sinn. Bedeutet aber auch, dass jeder Bereich nur einzeln stattfinden kann und darf. Ich wünschte, ich könnte diese strikte Trennung auch in meinem Leben umsetzen manchmal. Echte Work-Life-Balance sozusagen.

Für mich bedeutet es aber nunmal auch, dass ich viele Informationen nicht aus ihm rausbekomme. Und dann darauf angewiesen bin, dass mich andere Menschen informieren. Wenn ich Jim vom Kindergarten abhole, darf ich ihn fragen, ob er einen schönen Tag hatte. Das ist das absolute Maximum. Andere Fragen zu seinem Tag in der Gruppe werden sofort mit „Nein, Mama, hör auf, lass in Ruhe!“ quittiert. Keine Chance, auch nur in Erfahrung zu bringen, ob sie im Park waren oder ob er etwas gegessen hat. Frage ich weiter nach, kippt die Stimmung.

What happens in Kindergarten…

Freundschaftsbücher, die er von anderen an seinen Garderobenplatz gelegt bekommt, muss ich rausschmuggeln. Und dann auch wieder zurück. Call me The Freundschaftsbuch-Mule! Auf keinen Fall darf ich zuhause die Namen seiner Kindergartenfreunde in den Mund nehmen. Oder irgendetwas in Bezug auf seine Pädagoginnen sagen. What happens in Kindergarten stays in Kindergarten. Ich erfahre nichts von ihm. Ich weiß nicht, mit wem er spielt, ob ihn jemand geärgert hat, ob er ein neues Lied gelernt hat oder wie der Ausflug war. Und so bin ich die Mutter, die das Abholen zur Plauderstunde mit den Pädagoginnen ausarten lässt. Weil es meine einzige Möglichkeit ist, etwas von Jims Tag zu erfahren.

Ich respektiere, dass er nicht darüber spricht. Es fasziniert mich, dass Jim da so rigoros trennt. Und trotzdem: ich würde total gern mit ihm über seinen Tag im Kindergarten plaudern. Oder mir von ihm zeigen lassen, was er wieder Tolles mit dem Logopäden oder der Ergotherapeutin gemacht hat. Da ist sie wieder: die gute alte Erwartungshaltung, mit der ich mich stets und ständig auseinandersetze. Ich würde gern hören, was er erlebt hat. Mir von ihm erzählen lassen, was ihm heute am meisten Spaß gemacht hat. Ich weiß, dass auch viele neurotypischen Kinder ihren Eltern nicht von ihrem Schultag erzählen. Aber es bleibt eben doch etwas anderes. Ich gehe davon aus, dass neurotypische Kinder einfach oft keinen Bock haben, nach einem langen Schultag auch noch davon zu erzählen. Bei Jim ist es nicht, dass er keine Lust hat. Es würde ihm richtig Stress machen. Und das will ich nicht.

Hausaufgaben? Wohl kaum!

Jim kommt im September in die Schule. Da wird viel Veränderung auf ihn zukommen. Ich muss mir eine Strategie zurecht legen, wie ich an Informationen komme, die nicht immer auf offiziellem Weg mit Eltern geteilt werden. Denn ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er auch die Schule als geschlossene Einheit ansehen und empfinden wird. Das Thema „Schule“ wird zuhause kein Thema sein (dürfen). Könnte mir ja durchaus auch recht sein, Schule war jetzt noch nie so mein Ding. Aber ich bin unfassbar neugierig. Es bedeutet vor allem auch, dass Jim unbedingt eine Nachmittagsbetreuung braucht, in der er seine Hausaufgaben machen kann. Denn auch die wird er zuhause nicht mit der Kneifzange anfassen. Darauf kann ich mich verlassen.

Apropos Hausaufgaben: Ich muss immer ein bißchen lachen, wenn Jims Therapeut*innen mir Übungen für zuhause mitgeben. Erstens weil ich ja finde, dass zuhause keine Therapie stattfinden muss (ich bin seine Mutter, nicht seine Therapeutin), und zweitens weil Jim mir einen Vogel zeigen würde, käme ich mit einer Übung um die Ecke, die er aus der Therapie kennt. In Bezug auf Hausaufgaben habe ich also schon einen Erfahrungswert. Ich bin sehr gespannt, wie das mit der Schule dann sein wird.

Ein Geduldsspiel für mich

Jim MausGanz selten weicht Jim die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen auf. zum Beispiel dann, wenn er mal etwas aus dem Kindergarten mitbringt. Etwas Gebasteltes. Das ist immer ein Highlight – für alle. Für Jim, weil er wahnsinnig stolz ist. Und für mich, weil ich Einblick in einen Bereich bekomme, der sonst für mich verschlossen bleibt. Oder wenn er ein Lied vor sich her summt, das ich nicht kenne. Oder wenn er sich vor mir aufbaut, wenn ich mal wieder Krach mache, und sehr bestimmt sagt: „hey, keep the noise down, mommy!“ Dann weiß ich, dass er im Kindergarten zuhört, wenn die Pädagoginnen die Kinder mal zur Ordnung rufen.

Grundsätzlich finde ich es gut, dass er Bereiche in seinem Leben hat, die nur ihm gehören. Die er schützt und sich von nichts und niemandem kaputtmachen lässt. Ich übe mich also in Geduld und versuche ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er uns alles erzählen kann. Ob er das dann irgendwann tut, bleibt ihm überlassen. Und so belasse ich es bei „hattest du heute einen schönen Tag im Kindergarten?“. Solange die Antwort „JA!“ ist, kann ich mich ja eh entspannen.