Kleine Helfer mit großer Wirkung
Wenn es etwas gibt, was Jim wirklich cool findet, dann: mit anderen Kindern spielen und toben. Überhaupt mag er Gesellschaft sehr. Nur die sozialen Geflechte und ihre Regeln sind ihm oft unverständlich. Das macht es für ihn schwer, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen. Also nutzen wir dazu Hilfsmittel. Keine Kommunikationstafeln am Spielplatz (gibt’s bei uns eh nicht), sondern vielmehr hausgemachte „Eisbrecher“ (rw).
Hindernis Kontaktaufnahme
Ganz oft kam Jim in die Situation, dass er auf dem Spielplatz gern mit einer Gruppe Kinder spielen wollte. Oder zumindest Anschluss suchte. Das sah dann so aus, dass er sich in ihre Nähe traute, also sich neben sie stellte oder versuchte, in ihr Spiel einzusteigen. Weil er oft das Spiel nicht verstand (Verstecken zum Beispiel), war er störend für die anderen Kinder. Er wurde nie aktiv ausgeschlossen, aber war eben auch nicht Teil der Gruppe. Er verlor dann schnell das Interesse und beschäftigte sich allein auf dem Spielplatz oder eben mich.
Das Interesse an anderen Kindern ist nicht verloren gegangen. Und so habe ich mich gefragt: wenn Jim nicht in das Spiel der anderen Kinder einsteigen kann, vielleicht können sie dann aber ins seins einsteigen? Wenn die Kinder sich in einem Spiel treffen, das alle verstehen, dann könnte Jim tatsächlich mal mittendrin sein?! Und so ist die Idee geboren, Icebreaker (rw) zu finden. Kleine Hilfsmittel, die erstmal nicht wie Hilfsmittel wirken, aber große Wirkung haben in der Kontaktaufnahme.
In der Lightning Mc-Queen-Fankurve
Es ist der Griff in die Trickkiste, der Jim den Erstkontakt mit anderen Kindern erleichtert. Nach einigen Besuchen auf dem Spielplatz hatte ich schnell bemerkt, dass nicht nur mein Sohn großer Lightning McQueen-Fan ist. Da fuhren Fahrräder und Roller mit dem 95-Design durch die Gegend, Baseball-Kappen mit den kampfeslustigen Lightning-Augen hüpften über das Klettergerüst und „KA-CHOW!“ war der Schlachtruf der Spielplatz-Gang. Totales Heimspiel für uns.
Zuhause habe ich Jim vorgeschlagen, wir könnten doch den Lightning McQueen-Bausatz mal mit zum Spielplatz nehmen. Von diesen Bausätzen haben wir einige, also haben wir gleich drei Stück mitgenommen. Am Spielplatz hat Jim sie sofort ausgepackt und – das war der Plan – den ein oder anderen interessierten Blick auf sich gezogen. Schon standen ein paar Kids bei uns und interessierten sich sehr für Lightning, Cruz und Jackson Storm. Und Jim hat auch zwei der drei Bausätze gleich bereitwillig abgegeben.
Roter Helfer mit vielen Schrauben
Und so saß die Montage-Crew zusammen auf dem Gehweg und schraubte genügsam vor sich hin. Kam ein Kind mal nicht weiter, half Jim bereitwillig aus. Da wurden Reifen und Schrauben getauscht, bis alle mit ihren Autos zufrieden waren und man endlich das Piston-Cup-Rennen starten konnte. Großer Jubel, jeder durfte mal gewinnen. Eigentlich hat nur gefehlt, dass die drei sich in den Armen liegen und die Champagnerflaschen sprudeln lassen. In ein paar Jahren dann vielleicht. Durch den kleinen roten Helfer mit den vielen Schrauben hat Jim Anschluss auf dem Spielplatz gefunden. Weil es ihm schwerfiel, aktiv mit anderen in Kontakt zu treten, haben wir etwas genutzt, das die anderen Kinder auf Jim zukommen ließ.
Come on, boys, let’s go racing!
Auch die konzentrierteste Schrauberei hat mal ein Ende. Und wer viel sitzt, muss sich dann auch noch viel bewegen. Am liebsten mit dem Fahrrad im Park. Bei uns sind immer andere Kinder, die mit Jim um die Kurven fetzen und Wettrennen fahren. Da kommt der zweite kleine Helfer zum Einsatz. Oder eigentlich kam der Zuhause zum Einsatz. Es ist das iPad. Das Gerät, mit dessen Hilfe Jim soziale Konversation lernt und übt. Auf dem er immer und immer wieder Videos von Spielsituationen schaut und die Gespräche auswendig lernt, um sie dann im echten Leben einzusetzen.
Lightning McQueen spielt auch hier eine große Rolle. Denn gerade wenn es um Rennen geht, kann Jim hier aus einem großen Fundus an vorgefertigten Sätzen wählen. Und so ist er derjenige, der die anderen zum Wettfahren aufruft mit einem krachenden „Come on, boys, let’s go racing!“. Er verwirrt den Gegner mit „Wait for me!“, um dann an ihnen vorbeizuziehen und sich und seine Taktik mit „yeah, I’m winning! Ich bin ERSTER!“ zu feiern.
Natürlich merke ich, dass Jims Spielverhalten oft Verwunderung auslöst bei anderen. Ganz selten bei den Kindern, fast immer bei den Erwachsenen. Wie gut, dass die nicht mitspielen müssen. Die Kinder finden immer irgendwie einen Weg miteinander. Manchmal muss man den Weg nur ein bißchen bereiten; in unserem Fall eben mit diesen zwei kleinen Helfern, die nach außen nicht nach Hilfsmittel aussehen. Not macht eben erfinderisch, in jeder Hinsicht.
Abgeshen vom Thema finde ich Deine Art zu schreiben einfach unglaublich lesenswert. Ich bin nicht in diesem Thema drin und das fällt mir als Nichtbetroffene auch sicher schwer, aber es fesselt mich immer wieder. Also ich komme dahin, es zu verstehen. Fühle Dich gedrückt. Anja
Ach Anja, wie schön! Es ist toll zu wissen, dass auch Nichtbetroffene mitlesen. Ein Schritt in Richtund Akzeptanz, Awareness und letztlich hoffentlich auch Inklusion!
Alles Liebe,
❤️
Marison
Genau aus solchen Berichten habe ich mir vor fast 10 Jahren noch die Tipps (damals noch aus biographischen Büchern) geholt, die heute immer noch funktionieren.
Mein Sohn benutzt diese Technik heute oft selbstständig und hat damit lang andauernde Freundschaften aufgebaut.
Nur die Themen waren und sind bei uns andere. 🙂
Besonders hilfreich war die Minecraft-Welle, weil man da ohne Blickkontakt auf den Bildschirm schaut, sich aber viel mehr über das Spielgeschehen unterhalten muss.
Die 2. Säule ist, dass wir Eltern selber viel in den Themen drin sind und z.B. Minecraft auch zu 3. auf unserem eigenen Server spielen.
Ich mag deinen Blog sehr und denke, dass du vielen Eltern damit hilfst.
Super Idee! Ich bin begeistert! Auch ich lese deinen Blog immer wieder gerne. Du schreibst so liebevoll. Unsere Tochter ist jetzt schon älter, als die Diagnose gestellt wurde. Wir müssen uns mit diesem Thema auseinander setzen. Das fällt uns immer noch schwer. Deshalb finde ich es schön und hilfreich, wenn andere Eltern etwas dazu schreiben. Danke. Ganz liebe Grüße von Andrea 😄👍