Hallo böses C, eine Beschwerde!

Hallo böses C, eine Beschwerde!

20/03/2021 0 Von Marison

Ich hatte mir fest vorgenommen, dass dieser Blog keine Leidenszone sein soll. Ich wollte hier nicht jammern. Hier sollte Jim gefeiert werden. Ein Gute-Laune-Festival sozusagen. Aber manchmal ist die Luft raus. Es ist eben nicht immer alles super. Im Moment bin ich müde und ausgelaugt. Mein Kanal ist voll. Ich weiß, ich bin spät dran, immerhin beschäftigt Corona uns nun schon seit über einem Jahr (uff!). Trotzdem will ich meine paar Cent zum bösen C loswerden. Betreffen tut es alle. Die einen mehr, die anderen weniger, aber es kann wohl niemand sagen, dass Corona völlig spurlos an ihm/ihr vorbeigegangen ist. Dieser Text soll nicht „schaut her, wie schlecht es uns geht, viel schlimmer als euch“ brüllen. Wie sehr diese seltsamen Zeiten einen beeinflussen, ist kein Wettbewerb. Hier kann niemand gewinnen. Was dieser Post sagen möchte: ich bin müde, ausgelaugt. Nicht, weil hier Homeschooling und Job parallel laufen müssten (müssen sie nämlich nicht), sondern weil die totale Monotonie auf einmal unseren Alltag beherrscht.

Auf einmal Durcheinander

Seit einem Jahr ist nun nichts mehr so, wie es mal war. Ein andauernder Ausnahmezustand, Jim kuscheltder mächtig an den Nerven zerrt. Wie ein gemeiner Kobold, der sich in einer dunklen Ecke versteckt und immer dann raushüpft und Ätschbätsch kreischt, wenn man gerade das Gefühl hatte, es würde sich alles langsam normalisieren. Corona hat uns Planungssicherheit genommen. Seit einem Jahr nun planen wir gar nichts mehr, sondern entscheiden nur noch spontan. Das sorgt für weniger Enttäuschung. Der Hund findet das alles super, denn endlich ist das ganze Rudel mal immer zuhause. Schön für ihn. Für uns Eltern ist es nervig, wir fühlen uns eingeengt. Wie gern würden wir – wie alle anderen ja auch – mal wieder mit Freunden essen gehen, in Urlaub fahren oder unsere Familien sehen. Für Jim ist das alles ein einziges Durcheinander. Völlig undurchschaubar. Natürlich versuchen wir an einer festen Tagesstruktur festzuhalten und die Routine aufrecht zu erhalten. Aber tun wir uns damit wirklich einen Gefallen? Und was passiert in so einem kleinen Menschen, wenn das Gewohnte auf einmal weg ist? Genau: man gewöhnt sich an etwas anderes.

Zurück an den Anfang

Letztes Jahr wurde von heute auf morgen der Kindergarten geschlossen. Therapien wurden abgesagt. Von jetzt auf gleich war Jims Alltag nicht mehr so wie immer. Sein Tagesablauf kam durcheinander. Am Anfang fühlte es sich an wie Ferien. Ziemlich langweilige Ferien allerdings, denn nicht nur Kindergarten und Therapien fielen aus, auch die Spielplätze waren geschlossen. Es gab einfach nichts! Außer Enten beobachten im Teich. Immerhin. Nach zwei Monaten ging es langsam wieder los. Jim konnte wieder für ein paar Stunden in den Kindergarten. Endlich wieder eine Form von Alltag. Und vor allem: sozialer Kontakt. Der Kindergarten hat das wirklich super gemacht, aber auch der beste Kindergarten ist nicht vor Verdachts- oder Krankheitsfällen gefeit. Und so kam, was kommen musste: immer wieder wurden Gruppen isoliert, die Kinder mussten zuhause in Quarantäne bis Ergebnisse feststanden, Ausflüge mussten auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Immer dann, wenn Jim isoliert werden musste, wurden natürlich auch die Therapien abgesagt. Zurück zum Start. Gehe nicht über Los, ziehe nicht 4000 Mark ein.

Was gestern ging, geht heute nicht mehr

In diesem Durcheinander gibt es trotzdem eine Konstante: Zuhause sein, allein mit uns Eltern, das ist der neue Alltag. Vieles, was vorher ganz unkompliziert mit ihm war, ist jetzt Jim Memoryschwierig geworden. Vor Corona waren wir viel und oft unterwegs. Wir waren abends essen, haben Freunde getroffen, waren relativ spontan. Jim war immer mit dabei und mochte das auch gern. Er hat immer gut durchgehalten und wir hatten viele lustige Abende. Das gibt es so nicht mehr. Alles, was nun außerhalb des neuen Alltags stattfindet, endet im Meltdown: ein schöner Nachmittag beim Opa, ein Play Date beim Kumpel. Die Folge ist totale Überforderung. Für alle. Jim diesen Situationen nicht mehr auszusetzen hieße für uns, dass wir nichts mehr unternehmen könnten außerhalb der eigenen vier Wände, Kindergarten oder Therapiezentrum. Die Einschränkungen durch Corona haben Jim unflexibel gemacht. Und ich weiß, dass es ein langer Weg sein wird, ihn wieder an ein Leben außerhalb der Wohnung zu gewöhnen, sobald das wieder möglich ist. Dieser Weg steht mir bevor und ich habe großen Respekt davor, denn: es ist für mich oft nur schwer auszuhalten, wenn ich sehe, welchen psychischen und physischen Effekt solche Veränderungen auf Jim haben. Wie ihn diese Situationen überfordern und man das Gefühl bekommt, dass es ihn nicht nur anstrengt, sondern auch eine Form von körperlichem Schmerz bei ihm verursacht. Was aber ist die Alternative? Sich zuhause verbarrikadieren und ihn solchen Veränderungen nicht aussetzen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir werden es also langsam, sachte und in kleinen Schritten versuchen. Und uns dabei immer wieder vor Augen halten: Jim reagiert so, weil er es nicht anders ausdrücken kann, weil wir sein sicherer Ort sind und weil vieles, das für uns eine Kleinigkeit ist, für ihn ein Berg an Herausforderung ist. Ich wünsche mir oft, ich könnte ihm einen Teil der Strecke über den Berg abnehmen.

Himmel, hilf!

Manchmal muss ich schmunzeln, denn: vor einem Jahr hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass Jim zum Spielen verabredet ist. Heute fürchte ich mich ein wenig vor Shit!solchen Einladungen, denn sie bedeuten auf einmal zwei Tage Ausnahmezustand bei uns. Aber irgendwann kommt auch eine Form des alten Lebens zurück. Und bis dahin geben wir uns Mühe, Jim den Übergang so stressreduziert wie möglich zu machen. Auch für unser (Eltern-)Seelenheil. Jim kann am wenigsten für diesen Zustand. Er reagiert ja nur auf das, was um ihn herum passiert. Und er ist vier. Tatsächlich finde ich ihn – wie übrigens alle Kinder in dieser Situation – wahnsinnig tough. Trotzdem: ich bin müde und leer. Lightning McQueen bringt mich auf die Palme und ich will schon aus Prinzip beim Memory nicht mehr verlieren. Soweit ist es also gekommen: ich will einen Vierjährigen beim Spielen abzocken für einen kurzen Erfolgsmoment. Himmel, lass das alles bald vorbei sein!