Flimmerkiste, Teufelszeug!

Flimmerkiste, Teufelszeug!

26/08/2021 0 Von Marison

Wir sind schlechte Eltern. Oder zumindest nur mittelgute. Wir haben nämlich den Begriff „pädagogisch wertvoll“ gegen „dem Familienfrieden zuträglich“ getauscht. Im Interesse aller hier in der Familie. Bei keinem Thema wird das deutlicher als beim Teufelszeug Medien. 

You do you

Charmant ausgedrückt: wir sind eine medienaffine Familie. Um es zu sagen wie es ist: irgendein Gerät läuft hier immer. Und meistens auch etwas mit Bewegtbild. Ollie ist cinephil, ich verbringe die längste Zeit des Tages am Laptop oder Handy. Ey, drückt mir niemals einen Super Nintendo Controller in die Hand, da verliere ich die Selbstbeherrschung! Und Jim? Der nimmt beides dankend an. Klar! Unser Umgang mit Bildschirmzeit ist eher lax. Für andere vielleicht zu lax. Aber darf ja jede*r machen, wie er/sie möchte. You do you.

„Ist doch so schlecht fürs Kind!“

Therapeut*innen werfen jetzt mit einem Aufschrei die Hände in die Luft. Um Himmels Willen, Bildschirmzeit, so schädlich für Kinder. Kinder müssen raus, sie lernen beim Spielen. Und nichts ersetzt ein gutes Buch, dass Mama oder Papa zum Einschlafen vorlesen. Beim letzten Punkt stimme ich sogar zu. Ich habe es auch lang probiert, aber Jim war dafür einfach nie zu begeistern. Überhaupt fand er vorlesen nur in den seltensten Fällen gut. Und zwar so gut, dass ich „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte“ mindestens elfundneunzigtausendmal am Tag vorlesen musste. Mit verstellter Stimme natürlich. Bis Ollie und ich kurz davor waren, uns zumindest räumlich zu trennen, weil er es nicht mehr hören konnte. Ein Maulwurf wäre beinahe Trennungsgrund gewesen. Kann auch nicht jedes Paar von sich behaupten.

Lockdown-Rettung

Jim HandyIm ersten Lockdown, als die Kindergärten geschlossen waren und sogar die Spielplätze mit Flatterband abgesperrt waren, waren sämtliche Disney-Filme unsere Rettung. Ich hing auf einmal im Home Office, Vollzeit-Führungsjob, zig Telefonate und Videokonferenzen am Tag. Wie wenig sich Kinderbetreuung und Home Office-Arbeit miteinander vereinbaren lassen, ist mittlerweile ja hinlänglich bekannt (zumindest bei den Betroffenen). Die Kolleg*innen und der Chef hatten zwar Verständnis für das Geknatsche im Hintergrund, aber wirklich konzentriert arbeiten, wenigstens für eine Stunde, war einfach nicht machbar. Also lief an manchen Tagen Ratatouille in der Dauerschleife, bis uns die Ratte aus den Ohren rauskam. Oder Robin Hood, bis selbst der Hund schon „Oo-de-lally, oo-de-lally, golly, what a day“ jaulen konnte. Und dass wir anderthalb Jahre später IMMERNOCH Lightning McQueen an der Backe haben würden, hätten wir uns damals niemals vorstellen können.

Digital Detox

Nach dem Lockdown haben wir Jims Medienkonsum drastisch reduziert. Ich bin ehrlich: das war hart. Denn Jim war am Anfang ein bißchen verloren. Er musste erst wieder lernen, sich zu beschäftigen. Wir haben Fernbedienungen und Handys versteckt. Aus den Augen – aus dem Sinn. Die filmintensive Zeit hatte aber nicht nur Nachteile. Tatsächlich waren die ersten Sätze, die Jim gesprochen hat, Filmzitate. Die er auch situationsgerecht einsetzen konnte. Die Unterscheidung zwischen Film und real life war ihm möglich, die Verbindung von gelernten Filmsätzen in real life Situationen auch. Nicht alles ist immer schlecht, nur weil es flimmert.

Die Frage nach dem richtigen Maß

Ich frage mich oft, ob wir Jim zu viel am iPad daddeln oder fernsehen lassen. Was ist das richtige Maß? Ab wann ist es zu viel? Vor allem: ab wann ist es zu viel in einer Welt, in der praktisch alles fast nur noch digital und online funktioniert? Ich will Jim den Umgang mit Medien nicht verbieten, das macht es ja nur noch interessanter für ihn. Im Prinzip ist bei uns für ihn immer alles verfügbar. Er soll lernen, mit dieser Freiheit umzugehen. Und nein, es klappt natürlich überhaupt nicht, aber Jim ist auch erst fast fünf. Natürlich müssen wir oft einschreiten. Natürlich müssen wir die Regeln und Zeiten für ihn festlegen. Manchmal kann er das gut akzeptieren. 

Dürfen das wirklich nur Erwachsene?

Vor allem müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen. Mein halbes Leben steckt in meinem Handy, ich bin ständig damit beschäftigt. Ich habe einen Schreibtischjob und sitze viel am Laptop. Ja, auch dieser Blog Jim Ollie TVschreibt sich nicht von selbst. Jim sieht das natürlich. Wie soll ich ihm erklären, dass es durchaus in Ordnung ist, wenn ich das tue, er soll das aber nicht dürfen? Das Konzept „das dürfen nur Erwachsene bzw. wenn du älter bist, darfst du das auch“ fand ich schon immer wenig überzeugend. Und ist auch für Jim nicht nachvollziehbar. Ich profitiere außerdem von Jims Affinität für diese Geräte: so hat er doch die ein oder andere Funktion an meinem Handy entdeckt, die ich gar nicht kannte. Und ihr glaubt nicht, wie schnell Jim kapiert hatte, dass man bei der Face Recognition einfach nur kurz warten muss, bis die PIN-Option kommt. Dann hat er mir einfach auf die Finger geschaut, wenn ich meinen PIN eingetippt hatte. Und zack hat er sich sein YouTube Video rausgesucht. Da war er noch nichtmal vier Jahre alt.

Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag lasse ich mich gern berieseln. Zum Lesen bin ich meistens eh zu müde. Ein schöner Film, eine spannende Serie – das entspannt. Ähnlich sehe ich das auch für Jim. Sein „Arbeitstag“ im Kindergarten ist auch lang und anstrengend, sein kleiner Kopf ist andauernd mit lernen beschäftigt. Das ist eine Menge Input. Ich lasse ihn gerne nach dem Kindergarten seine Videos schauen. Zum Ausruhen. Die einzige Regel: Wenn ich sage „Jim, machst Du bitte fertig?“, muss das iPad ausgemacht werden. Brauche ich aber tatsächlich selten. Denn Jim gehört zu diesen Kindern, die von sich aus gern ins Bett gehen. „Mama, ich Schlafanzug anzieg!“

Die Kirche im Dorf

Das ist kein Plädoyer fürs Fernsehen. Wie eingangs geschrieben: you do you. Natürlich wissen  wir, dass Bildschirmzeit nicht sehr förderlich ist. Aber man kann die Kirche auch mal im Dorf lassen (RW). Ein Kinotag zuhause an einem regnerischen Wochenende ist doch Pflicht in jeder Kindheit! Bei uns waren es damals die „Wetten dass…?“  oder „Geld oder Liebe“ Abende. Daran habe ich die schönsten Erinnerungen. Wer noch nie sein Kind vor den Fernseher gesetzt hat, um mal ein paar Minuten Ruhe für etwas (oder sich) zu haben, darf jetzt gern den ersten Stein werfen (RW). Wer es anders handhabt als wir: super, macht es so, wie es für euch gut ist. Und jetzt entschuldigt, ich habe heute sturmfrei und freue mich schon den ganzen Tag auf meine Serie.