Erste Male

Erste Male

28/04/2022 0 Von Marison

Mit Kindern erlebt man ja viele erste Male. Meist sind sie toll. Immer auch wenigstens ein bißchen emotional. Es gab in den vergangenen Wochen einige erste Male bei Jim. Und die feiern wir sehr! 

Das erste Fahrrad

Der Osterhase hatte Jim ein Fahrrad gebracht. Wir hatten mit dem Osterhasen ausgemacht, dass er es einfach mal versuchen könnte. Um ganz ehrlich zu sein: wir waren eher semi-optimistisch. Jim hatte nie besonders großes Interesse am Laufrad. Wir waren damit höchstens zwei- oder dreimal draußen. Und letztlich habe ich es mehr getragen, als dass Jim damit durch die Gegend geflitzt ist. Von flitzen kann eh keine Rede sein, eher trödeln und stehen. Da fand er den Roller schon besser. Eigentlich wollte er aber auch nur darauf stehen und gezogen werden. Auch nicht im Sinne des Erfinders.

Jim FahrradDann stand da plötzlich dieses blaue Fahrrad. Und Jims Ehrgeiz geriet auf Hochtouren. Anders kann man das nicht beschreiben. Selbst der ungeliebte Helm wurde bereitwillig aufgesetzt. Rauf auf den Sattel und los ging’s! Im Eiltempo. Wirklich, Jim hatte das in Nullkommanichts raus. „Schnell, schnell, Mama! Ooooh schneller!“ ruft er jedesmal, wenn er in die Pedale tritt. Und wer auch immer an uns vorbeiläuft, bekommt von Jim ein „Hallo!! Das MEIN blaue Fahrrad!“ entgegengerufen. Großer Stolz. Bei Jim, weil es eben SEIN blaues Fahrrad ist, auf dem er Schlangenlinien fährt. Und bei mir, weil er es so schnell gelernt hat und so großen Spaß daran hat. Nur das Bremsen hat Jim noch nicht für sich entdeckt. Noch nutzt er die natürliche Bremse, also sämtliche Gartenzäune, die (dem Himmel sein Dank!) alle recht robust sind. Solange das mit dem Bremsen also noch nicht funktioniert, werde ich mir wohl die Laufschuhe anziehen müssen. Ugh, ich hasse joggen!

Der erste Wackelzahn

Der Osterhase hatte aber nicht nur ein Fahrrad gebracht, sondern sich auch noch mit der Zahnfee abgesprochen. Denn pünktlich zu Ostern gab’s auch den ersten Wackelzahn. Davor hatte ich ziemlich Jim WackelzahnMuffensausen, gebe ich zu. Denn wie oft habe ich Geschichten von autistischen Kindern gelesen, für die ein Wackelzahn eine große Herausforderung war. Wirklich cool fand Jim das auch nicht. Aber wohl eher weil er nicht mehr beherzt in einen Apfel beißen konnte, sondern wieder warten musste, bis ich ihm die kleinen Apfelschnitze geschnitten hatte. „Mama, kanns ich bitte Apfel schneids?“ 

Und dann war der Zahn eines Morgens plötzlich weg. Und niemand hatte es bemerkt. Nicht mal Jim so richtig. Er hat es einfach so hingenommen. Mit einem leichten Schulterzucken. Als wär nix. Auch das Brimborium um den Zahnfee-Brief fand er unspektakulär. Das alles gibt mir Hoffnung, dass das Wackelzahn-Thema hier einfach kein wirkliches Thema wird, und Jim mit all den sonderbaren Dinge, die mit/an/in seinem Körper vorgehen, gut zurechtkommt. 

Jim KälbchenDas erste Mal Bauernhof

Jim hat außerdem das erste Mal Ferien auf einem Bauernhof gemacht. Ich auch. Ehrlich: entspanntester Urlaub mit Kindern! Das erste Mal ein Kälbchen streicheln, das erste Mal eine Ziege bürsten. Und das erste Mal zum Hasen ins Gehege steigen. Überhaupt direkt mit den Tieren in Kontakt sein, deren Bewegungen für Jim nicht vorhersehbar sind. Ein wenig unheimlich war ihm das schon. Vor allem als die Ziege mal die Verfolgung aufgenommen hatte. Aber er hat sich getraut. Und später dann auch wieder Freundschaft mit der Ziege geschlossen, indem er sie mit einem Strauß Löwenzahn bezirzt hat. 

Das erste Schauspiel

In diesem Urlaub hat Jim allerdings auch zum ersten Mal Schauspieler-Qualitäten bewiesen, auf die selbst Neymar neidisch wäre. Wir haben eine kleine Wanderung zu einem Weiher gemacht. Und weil es in den Bergen selten nur geradeaus geht, musste wir erst einen ordentlichen Anstieg absolvieren. Klappte auch ganz gut. Auf dem Rückweg, bergab, kam Jim aus dem Tritt, fiel hin und musste dann, weil er sich den Ellenbogen angeschlagen hatte, ganz dringend (!!) auf den Arm. Das hat er sich dann gemerkt: einfach lamentieren, viel „aua aua oh weh oh weh“ und schon muss man nicht mehr selber laufen.

Bei der nächsten Wanderung (eher ein kurzer Spaziergang) nutzte er das neugewonnene Wissen gleich vollumfänglich aus. Folgende Szene: wir laufen gemütlich einen Feldweg entlang, Jim merkt, dass das Ziel noch mindestens einige Hundert Schritte entfernt liegt. Mit einem theatralischen „Ooh Mama, auaaaa!“ und schmerzverzerrtem Gesicht greift Jim sich an sein völlig unversehrtes Schienbein, sackt in Zeitlupentempo in sich zusammen und kauert dort in Embryonalstellung. Nicht ohne immer wieder zu uns rüber zu linsen, ob wir es auch ja bemerkt haben, dass er unmöglich auch nur einen einzigen Schritt weitergehen kann. Ein paar Minuten lang versuchen wir Jim zu motivieren, doch noch weiterzulaufen, aber die Fußballer*innen unter euch werden das kennen: die Schwalbe muss bis zum bitteren Ende durchgespielt werden. Also gut, dann halt Huckepack. Kaum saß Jim auf einem der drei vorhandenen Erwachsenenrücken, stimmte er lauthals und betont fröhlich eine Runde „Aramsamsam“ an. Seine eigene kleine Siegesfeier sozusagen, mit einem kleinen Spottlied für die Großen, die ihm auf den Leim gegangen waren (rw). 

Jim WieseZiemlich groß

Diese ersten Male haben mir eins gezeigt: da ist kein kleines Kind mehr. Sondern ein ziemlich großer kleiner Junge, der in vielerlei Hinsicht – ganz von sich aus – über sich hinausgewachsen ist. Ob ich mir Sorgen um seine Zukunft mache? Nein. Ich bin mir sehr sicher: was Jim sich vornimmt, das schafft er. In seinem Tempo. Auf seine Weise. Mit unglaublicher Präzision. Ohne Selbstzweifel. Ziemlich cool, finde ich.