EEG, MRT, ASS, MfG
An einem frühen Samstagmorgen im Juni 2019 fanden wir uns in der Ordination der Kinderneurologin wieder, die uns vom Professor ans Herz gelegt wurde. Vor uns saß eine etwas spröde Frau, die mit dem warmherzigen Professor erstmal wenig gemeinsam hatte. Aber sie sollte schließlich keinen Sympathiepreis gewinnen, sondern uns sagen, warum Jim nicht sprach. Also lächelten wir das leicht unterkühlte Gesprächsklima erstmal weg. Und dann sagte sie einen Satz, an den ich täglich denke: „Ganz gleich, was es am Ende ist, denken Sie daran: Jim ist nach dem Befund der gleiche Junge, der er vorher war.“ Boom, da war er, der Sympathiepreis.
Das Anamnesegespräch war ausführlich und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass alles, was ich zu sagen hatte, auch tatsächlich relevant war und ernstgenommen wurde. Sie war erstaunt, dass wir erst jetzt zu ihr kamen, und wir waren erstaunt, dass wir früher hätten kommen sollen. Schließlich haben uns ja alle für hysterisch erklärt, wenn wir unsere Sorgen äußerten, dass Jim noch immer nicht sprach. Sie untersuchte Jim oberflächlich, wobei sie nichts feststellen konnte, und empfahl uns das Dreier-Menü: EEG, MRT und psychologische Testung. Für das MRT müsste Jim allerdings sediert werden, denn Kinder in diesem Alter gelten als „unkooperative Patienten“, von denen man nicht erwartet, dass sie für ein MRT absolut regungslos in der Röhre liegen würden. Verständlich, trotzdem eine bittere Pille, denn: wer möchte schon, dass sein Kind sediert wird ohne dringende Notwendigkeit. Letztendlich entschließen wir uns dazu, alle 3 Untersuchungen durchzuführen, wir wollten schließlich eine Antwort – und vor allem einen Therapieplan – erhalten.
Kein Befund ist auch ein Befund
Das EEG war bis auf erneuten schweren Protest von Jim unspektakulär und unauffällig. Kein Befund. Alles gut. Für das MRT wurden wir stationär aufgenommen. Die nächsten 24 Stunden kosteten dann doch mehr Nerven, als ich mir vorgestellt hatte. Zum einen musste Jim natürlich nüchtern sein, um sediert zu werden. Wer Jim kennt, weiß, dass Essen seine Leidenschaft ist. Die Stimmung war auf dem absoluten Tiefpunkt. Auch das Spielzimmer der Klinik konnte da nicht helfen. Zum anderen hatte das Team Schwierigkeiten den Zugang zu legen. Vier Anläufe und fünf Personen, die Jim auf der Liege festhielten, später war der Zugang gelegt. Und ich war nassgeschwitzt. Kleine Kinder haben erstaunlich viel Kraft und wissen sich zu wehren, wenn sie etwas nicht möchten.
Das MRT war auch ohne Befund. Alles gut. Damit konnten viele Dinge ausgeschlossen werden, aber eine Antwort hatten wir immer noch nicht. Also weiter zur psychologischen Testung, die eine Mischung aus Test und Gespräch mit einer Psychologin war. Hier fiel zum ersten Mal das Wort Autismusspektrumstörung (ASS). Nur als Verdacht, denn Jim war noch zu klein, um es wirklich einwandfrei diagnostizieren zu können. In jedem Fall war seine Entwicklung auffällig.
Die Empfehlung der Psychologin an uns war: Logopädie und Ergotherapie. Und am besten auch eine Kontaktaufnahme mit der Autistenhilfe in Wien. Vielen Dank, auf Wiedersehen. Zwar gab es auch wieder keinen eindeutigen Befund, aber doch zumindest einen Verdacht. Das war wenigstens ein Schritt. Trotzdem: ich musste mächtig durchatmen und wir fragten uns, wie wir das nun angingen. Wir kannten niemanden in einer ähnlichen Situation. Da half also wieder nur googeln. Ein Logopäde und eine Ergotherapeutin waren schnell gefunden und seitdem geht Jim einmal in der Woche dorthin. Ob seine Fortschritte auf die Therapien zurückzuführen sind, die er seit Juli 2019 macht, oder es eben seine normale Entwicklung ist, können wir nicht beurteilen, aber er geht gern und es schadet ihm nicht. Das ist die Hauptsache.
Anderen geht es ja viel schlimmer
Wer schonmal versucht hat, einen Termin bei der Autistenhilfe zu bekommen, weiß, dass die Wartelisten enorm sind. Für ein Beratungsgespräch wartet man ca. ein halbes Jahr, für eine Diagnostik bis zu eineinhalb Jahren. Dafür kann die Autistenhilfe erstmal nichts, zeigt aber doch ganz deutlich, dass der Bedarf hoch ist, das Angebot allerdings gering. Für Eltern, die Unterstützung brauchen in dieser Situation, ist es keine Option, eineinhalb Jahre auf einen Termin zu warten. Die Hilfe wird ja JETZT benötigt. Ein echter Fehler im System. Letztendlich bleibt einem nicht viel übrig, also wartete ich ein gutes halbes Jahr für das erste Beratungsgespräch. Ich hatte große Hoffnung, als es endlich soweit war, dass ich hier Hilfe finden würde: wie gehe ich das nun an? Wo muss ich zuerst einen Termin machen? Welche Möglichkeiten und Unterstützung gibt es bei einem Verdacht auf eine ASS? Wie kann ich mit anderen Eltern in Kontakt treten, denen es ähnlich geht? Ich war in Aufbruchstimmung. Meine Motivation sollte eine gehörige Ohrfeige bekommen.
Es glich einer Verhörsituation. Ein ständig gähnender Herr saß mir gemeinsam mit einer Protokollantin (wofür auch immer?!) gegenüber, während ich mein Anliegen vortrug. Als ich mit meiner Geschichte fertig war, gab er mir schlecht kopierte Zettel mit Kontaktdaten von privaten PsychologInnen und den guten Rat „es am besten gleich privat zu machen, die Warteliste der Autistenhilfe ist unendlich lang und es gibt schlimmere Fälle.“ MfG. Danke für nichts, echt! Ich möchte die Autistenhilfe nicht schlecht reden. Ich bin mir sicher, dass viele Familien dort großartige Hilfe und Unterstützung erfahren haben. Anscheinend hatte ich einfach kein Glück.
Und so stand ich wieder auf der Straße und fragte mich: und jetzt? Was machen wir jetzt?
Weiterlesen: Teil 3/3 der Diagnose-Odyssee – Jede Suche hat ein Ende
🤦 und sowas nennt sich“Hilfe“.
Diese nüchternen Aussagen kommen mir sehr bekannt vor. „Gefühllos“ könnte man diese auch bezeichnen. Wir sind „schlimmere Fälle“, in anderer Hinsicht und warten auch auf alles eine halbe Ewigkeit. 🕰️☹️
Alles Liebe Ketoqueen 😘