Der erste Eindruck zählt
„You never get a second chance to make a first impression“. Dieser schlaue Spruch hat bei uns eine völlig neue Dimension erreicht. Es ist so: Menschen mit einer Autismusspektrumstörung brauchen in der Regel eine Tagesroutine. Einen Ablauf, an dem sie sich festhalten können. Etwas, das einfach immer so ist, sich nicht verändert. Denn Veränderung bringt immer auch Verunsicherung. Es müssen nicht immer große Veränderungen sein. Bei uns reicht oft schon eine neue Bettwäsche. Herausfordernd ist immer der Saisonwechsel und die damit einhergehenden neuen Anziehsachen. Letztes Jahr war der Übergang von Sneakers zu Winterstiefeln ein Kampf. In diesem Jahr geht die Kampfansage an den Schal. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir in diesem Winter das mit den Handschuhen schaffen.
Gutgemeinte Pläne
Jim kann mit Veränderungen ganz gut umgehen. Es kommt trotzdem vor, dass er meckert und motzt oder sich wehrt. Solange wir ihn nicht zwingen, sondern ihm Zeit lassen, regelt sich das meist von ganz allein. Je mehr wir versuchen das zu beschleunigen, umso heftiger wird die Abwehr. Aber das ist bei neurotypischen Kindern sicher auch so. Der Unterschied ist, dass wir Jim nur schwer das „Warum“ beantworten oder ihm den Grund für die Änderungen erklären können.
Nun kann nicht immer alles zu 100% so ablaufen wie jeden Tag. Die Socken müssen irgendwann mal in die Wäsche, die Tonie-Box muss irgendwann mal aufladen und kann nicht immer an ihrem Stammplatz stehen, irgendwann ist es zu kalt für kurze Hosen und irgendwann passieren auch einfach mal Dinge, die nicht geplant waren. Das ist dann der Moment, in dem wir uns einen Plan zurecht legen. Denn: nach all dem Motzen, Meckern und allmählichem Akzeptieren manifestiert sich diese Situation bei Jim als neue Routine. Als Regel. Als etwas, was anscheinend ab jetzt immer so ist. Da muss vorher gut überlegt sein, wie das Neue eingeführt wird. Zumindest theoretisch. Praktisch ist es so, dass unsere gut durchdachten Pläne selten funktionieren. Aber sie geben uns das Gefühl, wenigstens vorbereitet zu sein.
Das ist jetzt immer so
Als wir Jim vor einiger Zeit mal ausnahmsweise mit dem Auto vom Kindergarten abholten, um zu Freunden zu fahren, anstatt wie sonst nach Hause zu gehen, war das Geschrei erstmal groß. Es war der Kindersicherung in der Autotür zu verdanken, dass er sich nicht selbständig auf den Fußmarsch heimwärts machte. Auch bei unseren Freunden war er erstmal nicht zu beruhigen, da half auch die große Schüssel Chips nichts. Letztendlich hatten wir dann doch noch einen vergnügten Abend und Jim war später auch bester Laune. Bei ihm hatte sich allerdings eingebrannt: super, ab sofort werde ich immer mit dem Auto abgeholt und wir fahren zu Freunden. Die Enttäuschung war entsprechend groß am nächsten Tag, als wir uns wieder zu Fuß auf den Heimweg machten. Das dauerte einige Tage an und jetzt ist der Spaziergang nach Hause wieder die Regel.
Während der ersten Corona-Lockdown Phase im Frühjahr kam unsere Tagesroutine ordentlich durcheinander. Kindergarten und Spielplätze waren geschlossen. Jim konnte den halben Tag im Schlafanzug rumsumpfen. Wenn wir uns dann mal angezogen haben, ging es raus an die frische Luft. Das hielt einige Wochen an. Genug Zeit also, damit „wenn wir uns anziehen, geht’s zum Rollerfahren in den Park“ für Jim zur neuen Routine wurde. Unter der Woche haben wir das wieder ganz gut im Griff. Da gehen wir zwar nicht Roller fahren, aber wir gehen raus und marschieren zum Kindergarten. Nur am Wochenende hat sich das noch nicht wieder normalisiert. Der Versuch, Jim morgens aus dem Schlafanzug zu schälen, endet gern damit, dass er in voller Montur an der Wohnungstür steht, bereit für Frischluft-Entertainment. Dabei habe ich noch nicht mal den ersten Kaffee intus. Dann denke ich mir: „das muss er aushalten, jetzt muss er warten.“ Aber aushalten muss vor allem ich. Nämlich Jims Wutanfall. Irgendwann wird sich das auch wieder legen.
Nicht immer hilft Zeit
Bei Schokokeksen ist Jim allerdings kompromisslos. Außer Prinzenrolle kommt uns hier nichts ins Haus. Das heißt, ins Haus schon, wird aber vom Prinzenrollen-Prinzen ignoriert. Und bitte auch nur das Original, nicht die Rolle vom Discounter oder so. Der Prinzenrollen-Keks heißt bei Jim übrigens auch „Ball“ statt Keks, weil auf der Packung seit einiger Zeit ein Fußball abgedruckt ist. Soviel zur Transferleistung, die er an den Tag legt, wenn er das richtige Wort nicht sagen kann.
Mir ist bewusst, dass viele Menschen denken, Jim solle sich nicht so anstellen. Dass wir ihn einfach öfter aus seiner Komfortzone holen müssen. Oder dass man da einfach konsequenter erziehen muss. Tatsächlich ist es aber so, dass Jim bei jeder Veränderung sein System neu programmieren muss. Er braucht länger, um sich auf Neues einzustellen und um zu lernen, dass die Tage verschiedene Abläufe haben können. Weil er im Sprachverständnis Schwierigkeiten hat, ist es meist nicht besonders hilfreich, ihm das zigmal zu erklären. Wir haben gelernt, dass es einfach Zeit braucht. Die soll Jim auch haben.
Eine große Unterstützung wäre ein Struktur Board. Eine Tafel, auf der wir Jim jeden Tag seinen Tagesablauf abbilden könnten. Mit Bildern und Symbolen zum besseren Verständnis. Ich habe zwar Stundenpläne schon in der Schule gehasst, aber wenn es Jim hilft, dann soll es so sein. Die Boards, die man kaufen kann, sind nur alle so unglaublich hässlich, dass ich es nicht übers Herz bringe, so ein Teil zu kaufen. Da hilft nur selber basteln. Jetzt im zweiten Lockdown schaffe ich das hoffentlich. Ich brauche nämlich auch manchmal einfach Zeit. Die will ich mir nehmen.
Du schreibst ganz wunderbar!
❤️ danke, Du Liebe! ❤️
Hi Marison,
It is helpful for me to read these notes and to see how junior is moving ahead! I hope he is making progress with the Doctors who are assisting him every week and particularly with you being most of the time with him!! It is so nice for me to read you and I am waiting for the next story to be issued.
Kisses
Thank you, Chris! And thanks for being on this journey with us! ❤️
Hallo.
Wir sind euch auf unserer Reise etwas voraus.
Unser Sohn im Spektrum ist jetzt 9, aber du beschreibst viele, sehr bekannte Situationen.
Kennst du schon die Metacom Symbole?
Da gibt es auch kostenlose Downloads für Spiele und Wochenpläne.
Für den Anfang haben bei uns auch Fotos von Freunden oder dem Auto geholfen.
LG
Simone
Liebe Simone,ja, die Metacom Symbole kenne ich. So richtig haben wir noch keine Zugang dafür gefunden. Irgendwie ist es nicht ganz ideal für uns. Aber wir werden sicher etwas finden, was auch für uns gut funktioniert. Oder einfach selber machen. 😉
Liebe Grüße, und schön, dass DU mitliest.
Marison
Hallo.
Ideal ist unterstützte Kommunikation nie. Es muss sich, wie euer Leben, ständig weiter entwickeln. 😉
Manchmal ist ein Foto besser, oft muss die Farbe vom Bild zur Realität passen z.B.
Und: es ist Kommunikation, also nicht nur ein Plan.
Ausserdem gibt ein Plan manchmal nur passiv Sicherheit, obwohl er scheinbar nicht beachtet wird.
LG
Simone
Liebe Simone,
ich gebe Dir durchaus Recht in dem, was Du schreibst. Ich denke nur, dass viele, die mit dem Thema keine Berührungspunkte haben, mit dem Ausdruck „unterstützende Kommunikation“ erstmal nicht viel anfangen können. Das, was wir für Jim nutzen wollen, sieht in erster Linie mal wie ein Plan aus, auch wenn es natürlich viel mehr ist. Ich habe das vielleicht zu salopp formuliert. Letztendlich ist das genau der Spagat, den ich hier versuche hinzulegen: auch für diejenigen verständlichen Content zu bieten, die mit all den Ausdrücken, Abkürzungen, Hilfsmitteln etc. eben nicht vertraut sind. Ich stimme Dir aber zu: ich sollte da genauer sein.
Alles, was Jim hilft, soll ihm zur Verfügung stehen. Wann ein Foto oder ein Symbol besser funktioniert, wird die Zeit zeigen. Auch, wann und in welchen Situationen es hilfreich und/oder nötig ist. Ich frage mich nur, weshalb es so wenige Lösungen gibt, die zum einen funktional sind und zum anderen auch ästhetisch ansprechend. Das eine muss das andere ja nicht ausschließen. Und bis jetzt habe ich nichts gefunden, das ich nicht ensetzlich hässlich finde. 😉
Liebe Grüße,
Marison
Hallo Marison!
Ja, da waren wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen unterwegs. 🙂
Das Design muss da leider der Funktion folgen.
Wir haben einen freien Platz im Eingangsbereich gewählt und mit Bildersteckleisten, senkrecht, ausgestattet.
Fotos und Sybole können so leicht umgesteckt werden.
Mit damals 3 Jahren mussten die Symbole auch noch ca Din A6 groß sein.
Sonst funktionieren auch super Fotoeinsteckalben im Taschenformat oder 5×5 cm Symbole am Karabinerhaken.
Das lässt sich dann optisch auch schnell verräumen.
Von der Stange gibt es einfach wenig, weil jeder Nutzer völlig andere Bedürfnisse hat.
Im Freundeskreis kenne ich mitlerweile die unterschiedlichsten Lösungen, die für uns nicht funktionieren würden. 😉
Aber jetzt lese ich lieber wieder nur weiter.
Simone
Liebe Simone,
oh, ich hoffe, es ist nicht der Eindruck entstanden, dass ich hier nicht diskutieren möchte. Ganz im Gegenteil, ich freu mich sehr über den Austausch und das, was Du geschrieben hast.
Klar, jeder Nutzer hat andere Bedürfnisse und was für den einen funktioniert, mag beim anderen gar nicht wirken. Das ist ja auch das Spannende daran. „Form follows function“, auch das ist klar. Was ich eigentlich mit „gefällt mir nicht“ meine ist: damit die Karten möglichst lange halten, werden sie ja meist laminiert. Und das ist irgendwie gar nicht mein Ding. Es sieht einfach immer schrecklich aus, aber das ist meine ganz persönliche Empfindung. 😉 Ich frage mich, ob es einfach ein anderes Material gibt, also z.B. Holz oder so. Dass das kostspieliger ist, ist mir klar. Das würde ich dann in Kauf nehmen. Und es vielleicht mit jemandem gemeinsam entwickeln oder so. Und dann ist es mir auch nicht klar, warum die „Unterlage“, auf die man dann die Karten mittels Klettband anbringt (wenn man dieses System nutzt) immer so knallig bunt sein müssen. Die Form würde dann ja immernoch der Funktion folgen, wenn man es farblich nicht ganz so „schreiend“ macht. Aber wie gesagt, so unterschiedlich die Bedürfnisse sind, so verhält es sich auch mit dem Geschmack.
Ich freu mich, wenn Du weiter mitliest. Ich freu mich aber auch, wenn Du weiter Input/Feedback hast.
In diesem Sinn, einen schönen Abend und liebe Grüße,
Marison
Ah. Jetzt verstehe ich eher, was du meinst.
Bei uns ist die Wand für den Plan weiß. Die bunten Symbole für die Wochentage sind nur die „Überschrift“.
Symbole sind oft eher kurzlebig und sehr individuell. Deshalb wäre bei uns Holz eher unbrauchbar.
Unser Sohn ist auch ganz klar darin, welche Symbole er möchte.
Da muss die Flasche grün sein, so wie seine echte.
Oder wir basteln bei Bedarf mal eben ein neues Symbol für Kakao Geld für den nächsten Morgen.
Da ist mit heimischen Mittel der Farbdrucker und das Laminiergerät einfach dein bester Freund. 😉
Haptisch schöner ginge z.B. stärkeres Papier oder professionelles drucken lassen auf Fotopapier.
Malkarton gibt es auch fertig in den passenden Größen, falls du selber kreativ werden möchtest.
Zum Bilder aufbewahren könnte ich mir auch Stoff Memorys vorstellen.
Wenn man mit Klett arbeitet, bietet sich auch ein Kommunikationsbuch oder Wochenplan aus Filz an.
Ein Wochenplan für die Wand funktioniert auch gut mit bedruckbarer Magnetfolie.
Als Untergrund funktioniert dann entsprechende Wandfarbe oder ein entsprechendes, selbstgestaltetes Board.
„Unsere“ Symbole sind in der Regel auch eher farblich reduziert.
Grundsätzlich folgt da aber schon das Design der Funktion. 😉
Viele Kinder fühlen sich von den bunten Symbolen eher angesprochen als von den schwarz-weißen.
In allen Fällen kann es aber passieren, dass du nach 2 bis 3 Wochen merkst, dass es für deinen Sohn so noch nicht funktioniert und du noch mal komplett umdenken musst.
Deshalb bevorzugen wir es eher Quick and dirty.
LG
Simone