Anstrengende Erholung

Anstrengende Erholung

07/09/2022 2 Von Marison

Man ist ja schnell wieder im Alltag angekommen. Selbst wenn man sich vornimmt, das Urlaubsfeeling noch eine Zeit nachwirken zu lassen. In dem Moment, in dem man die Haustür zuhause wieder aufschließt, verlässt einen der heilige Urlaubsgeist schlagartig. Ist so. Deshalb lasse ich die Ferien nochmal Revue passieren. In der Hoffnung, dass ich den Meeresduft nochmal in die Nase bekomme.

Es hält sich immer die Waage

Jim StegWir hatten uns was vorgenommen. Insgesamt lagen 4.000 km im Auto vor uns. Acht Landesgrenzen haben wir passiert und sind durch fünf Länder gefahren. Ziemlich unspektakulär heute. Vor ein paar Jahren hätten wir noch in langen Grenzstaus gesteckt und viele Währungen parat haben müssen. Ist nicht alles schlecht heutzutage. Die Aufgaben waren klar verteilt: ich war wie immer verantwortlich für’s Packen, Ollie für die Route und die Unterhaltung (Ollie ist der Auto-DJ bei uns). Jim war versorgt mit einem anständigen Entertainment-Paket bestehend aus Nintendo, DVD-Player und jeder Menge Autos.

Zwei Wochen haben wir im sonnigen Süden verbracht. Und so schön und erholsam es auch war – es war auch sehr anstrengend. Gleichzeitigkeit, das geht. Ich habe gelernt: es gibt auch anstrengende Erholung. Oder erholsame Anstrengung. Je nachdem wie man es betrachtet. Es gab plötzlich Herausforderungen, die es zuhause in dem Ausmaß nicht gibt. Und gleichzeitig blieben wir vom Alltag verschont. Irgendwie hält es sich dann eben doch immer die Waage.

Nasse Badehosen und Wellenbrecher

Erholsam war, dass ein großer, nicht überfüllter Strand viel Auslauf ermöglicht. Und das Meer es wirklich gut mit uns meinte. Jim war nur schwer aus dem Wasser zu bekommen und hat jede Welle jauchzend gefeiert. Er war sehr mutig. So mutig, dass wir ihn manchmal nur mit viel Mühe davon abhalten konnten, geradeaus Richtung Tanker am Horizont zu marschieren. Nach ein paar Tagen konnte er auch die Tatsache akzeptieren, dass die Badehose nunmal nass wird im Wasser. Tatsächlich waren die Stunden am Strand sehr erholsam, schön und entspannt.

Mit Ollie war Jim im Wasser abenteuerlustig und hat jeden Wellenbrecher stoisch genommen. „Uiuiui, ganz große, Papa! JUMP!“ Naja, und manchmal resultierte das eben auch in unfreiwilligen Tauchgängen. Dann kam Jim aus dem Wasser gestapft, um mir sehr stolz mitzuteilen: „Unne Jim hatte Unfall unne Papa hatte Unfall. Jaaa, Unfall!“ Darauf einen Schokomuffin und gleich wieder zurück in die Wellen. So ging das jeden Tag.

Lightning McQueen sei Dank!

Jim LightningIm Urlaub waren auch Restaurantbesuche wieder gut machbar. Solange wir irgendwo waren, wo es Pommes oder Pizza gab, wir den Lightning McQueen Bausatz dabei hatten, das Internet stabil und das iPad aufgeladen war. Das hat uns dann den ein oder anderen Sonnenuntergang bei gutem Essen und relativ entspannter Stimmung beschert. Und niemand hat sich an dem Kind gestört, das manchmal mitten im Weg auf dem Boden lag, um Lightning McQueen aus allen Perspektiven ganz genau zu betrachten, oder verknotet und falschrum auf dem Stuhl saß und den Text des Films auf dem Bildschirm mitsprechen konnte. 

Mama, alles gut?

Der nicht so erholsame Teil des Urlaubs war die Dauerbeschallung und -belagerung. Das begann schon beim Packen. Große Aufregung, aber noch gut auszuhalten. Vor dem Urlaub sind doch alle immer aufgeregt. Aber dann hörte es einfach nicht auf. Im Gegenteil: es intensivierte sich von Tag zu Tag. In der Dauerschleife sprach Jim mit mir die immergleichen Sätze und Fragen: Mama, wo bist du? Mama, alles gut? Mama, ich bin hier. Mama, ich warte auf dich. Von morgens bis abends. Mitten in der Nacht. Immer. Ununterbrochen. Die einzige Zeit, in der Jim nicht mit mir sprach, war die heilige Bildschirmzeit. Da redete er zwar auch ununterbrochen, aber eben nicht mit mir, sodass ich das ein wenig ausblenden konnte.

Meine Grenze

Und dann gab es eben noch die Trennungs- und Verlustangst. Jim war immer an mir dran. Habe ich kurz den Raum verlassen, wurde er unruhig. Mal kurz alleine einkaufen gehen oder einfach nur mal fünf Minuten für mich sein, war absolut unmöglich. Ich kann die Dauerbeschallung oder die Dauerbelagerung für sich ganz gut aushalten. Aber beides in Kombination treibt mich wirklich an meine Grenzen. Und so eben auch im Urlaub.

Die größte Herausforderung für mich dabei ist meine Selbstregulation. Denn: Jim spiegelt unseren emotionalen Zustand. Und potenziert ihn dann. Bin ich angestrengt oder aufgeregt, ist er noch aufgeregter. Ein Teufelskreis, weil mich das natürlich auch weiter aufregt. So schaukelt sich das nach oben, bis irgendwann das sprichwörtliche Fass überläuft. In diesem Zustand ist Koregulation unmöglich. Wie soll ich ihm helfen, sein Gemüt und seine Emotionen zu regulieren, wenn ich mich selbst nicht im Griff habe? Den eigenen Gemütszustand andauernd runterzufahren ist wirklich harte Arbeit und sehr, sehr anstrengend, wenn man dafür eigentlich keinen Raum hat. Aber es hilft ja nichts, irgendwie muss es passieren. Und wenn sich dann alle Gemüter wieder beruhigt haben, geht es auch wieder. Zumindest bis zum nächsten „Mama, wo bist du?“.

Hallo Alltag! Alles gut?

Jetzt zuhause legt es sich ganz langsam. Ich kann mich wieder freier bewegen, ohne dass Jim andauernd an mir dran ist. Er fragt immer noch „alles gut?“ und „wo bist du?“, aber nicht mehr ununterbrochen. Das entspannt. Aber gleichzeitig geht eben auch wieder der Alltag los, das entspannt eher weniger. So hält sich eben auch hier alles die Waage.

Nach 14 Tagen am Strand und vier Tagen im Auto kann ich sagen: der Urlaub war sehr erholsam. Und sehr anstrengend. Nervenaufreibend und beruhigend. Von allem ganz viel. Wir sind sehr froh, dass wir das gemacht haben. Und dass Jim und Bob die langen Fahrten so toll mitgemacht haben. Wir wären gern länger geblieben. Bob konnte es kaum erwarten, ihm war es dort einfach zu warm. Aber zuhause ist es auch schön. Wir sind wieder da, falls jemand fragt, wo ich bin.